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Gifthauch

Gifthauch

Titel: Gifthauch
Autoren: Mark Terry
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Betracht gekommen.
    Einmal pro Woche trafen sich zehn Freunde, allesamt Hochschullehrer oder Angestellte an der Wayne State University oder am Henry Ford Hospital, zu einem gemütlichen gemeinsamen Frühstück. Aus Gründen, die niemand kannte, kamen sie stets in dem Loch zusammen, das das Boulevard Café war, einem Lokal, das keiner von ihnen besonders mochte und einige sogar verabscheuten. Der Treffpunkt war zu einer eigentümlichen Gewohnheit geworden, und wenn Simmons einen Gedanken daran verschwendete, vermutete er, dass das schäbige Ambiente doch irgendeinen Reiz ausüben musste. Wahrscheinlich aber hatte die Tradition damit ihren Anfang genommen, dass das Café so günstig gelegen war, denn die Leute aus dem Krankenhaus brauchten nur die Straße zu überqueren. Simmons schaute aus dem großen Fenster auf den frühmorgendlichen Verkehr, der den Boulevard verstopfte. Sein Blick fiel auf den Nebeneingang des Krankenhauses, der riesige, fast unproportionierte dreieckige Vordächer hatte. Er musste an eine Baseballmütze denken, deren Schirm aus Ziegeln und Beton bestand.
    Melanie Tolliver, eine Forscherin aus dem Hospital, fragte: »Wo ist Rebecca?« Tollivers grüne Augen funkelten vor kaum verhohlener Neugierde.
    Simmons zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck Kaffee. »Sie hat angerufen und mir gesagt, dass sie später kommt. Warum, das hat sie nicht gesagt.«
    Melanie strich sich das grau melierte braune Haar aus der Stirn und zog eine Augenbraue hoch. »Alles okay? Ich meine …«
    »Ja. Alles prima.« Mit einem erneuten Schulterzucken sah sich Simmons im Lokal um, das ziemlich voll war. Sie waren zu neunt statt wie sonst zu zehnt. Die Nichtraucherzone des Boulevard Café war nicht viel größer als eine Telefonzelle, und daher saßen sie im Raucherbereich, dessen Luft blau war vom Zigarettenqualm. Von ihnen rauchte niemand. »Himmel, können wir denn nicht –«
    »Fang gar nicht erst an«, mahnte Brad Beales. Er saß auf der anderen Seite des beschichteten Tisches, der wackelte, sobald sich jemand darauf stützte. Brad war Linguist und maß ohne Schuhe einen Meter sechsundneunzig. Groß und mager, wie er war, sah er mit seinem üppigen Schopf aus flauschigem weißen Haar an dem langen, schmalen Kopf wie ein Wattestäbchen aus. Mit Falsettstimme sagte er: »Wir alle mögen Margie.«
    Er und Simmons lachten, aber Melanie schaute sie missbilligend an. »Es ist eben in der Nähe.«
    »Es ist eine Bruchbude«, beschwerte sich Simmons.
    Beales zuckte mit den Schultern und grinste leicht. »Man isst billig.«
    »Naja, bisher sind wir einer Lebensmittelvergiftung ja entgangen«, entgegnete Simmons. Er wollte weiterreden, doch dann verbiss er sich seine Bemerkung. Er blickte auf die Uhr und fragte sich, wo Rebecca blieb. Sie hatte gestresst geklungen, als sie ihn am Morgen anrief, um ihm zu sagen, dass sie später komme. Als er nach dem Grund fragte, hatte sie nur erwidert: »Ich komme später, das ist alles«, und aufgelegt. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Sie verbrachte drei oder vier Nächte in der Woche bei ihm oder er bei ihr. Ihm war klar, dass Melanie sich fragte, ob sie gestritten hätten. Das fragte er sich nun auch. Aber nein. Alles war okay gewesen. Alles war bestens.
    Er horchte auf, als es irgendwo in der Nähe knallte. Es war kein lauter Knall wie von einer Schusswaffe, eher wie der Knall eines Sektkorkens.
    Er achtete auch nur kurz darauf, blickte hoch, einen fragenden Ausdruck im Gesicht, dann wandte er sich wieder seinem Kaffee zu. Margie, ihre Kellnerin, kam mit zwei Tellern. Man könnte meinen, sie sei in den Sechziger Jahren sowjetische Gewichtheberin gewesen. Sie hatte ein rundes Gesicht und einen rundlichen Leib, aber sie machte den Eindruck, sie könne einen Bus stemmen. Ihr stahlgraues Haar trug sie zu einem Knoten zurückgebunden, der aus einem unerfindlichen Grund aussah, als würde er irgendwo den Blutkreislauf einschnüren. Ganz allgemein schien es, als fahre sie im zweiten Gang durch eine Welt, in der der dritte Gang üblich war. Sie brachte Simmons sein Omelette und die Kartoffelpuffer, aber keinen Toast. Die Frau war nicht fähig, auch nur eine Bestellung komplett zu servieren. Die Speisen kamen nacheinander wie bei einem siebengängigen Menü. Toast war heute offenbar der zweite Gang.
    Beales bekam Pfannkuchen mit Schokoladenstückchen, bedeckt mit Schokoladensirup und Schlagsahne. »Wirst du eigentlich je erwachsen?«, fragte Melanie. Margie stellte ihr eine Schüssel mit
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