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Gifthauch

Gifthauch

Titel: Gifthauch
Autoren: Mark Terry
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Gesicht hässlich verzerrt. Jill brach es fast das Herz. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war so stark – die hohen Jochbeine, das dunkle Haar, die durchdringenden kobaltblauen Augen, vor allem aber die Art, wie er den Mund verzog. Wie sehr sie es hasste, diesen wütenden, verletzten Ausdruck im Gesicht ihres Sohnes zu sehen. Das ist nur das Alter, dachte sie, aber sie wusste, dass sie sich etwas vormachte. Michael entzog sich der Schwerkraft ihres Schutzes, und das war ganz natürlich, gut und normal, doch gleichzeitig trieb es ihn in die Umlaufbahn einer Welt, von der sie wusste, dass sie ihm nicht bekam. Dieser Planet war gefährlich, und Jill bekam ein wenig Angst, wenn sie darüber nachdachte.
    Sie trat vor und umarmte ihn rasch. Wieder versetzte es ihr einen Stich, als er vor ihrer Berührung zurückzuckte. Sie küsste ihn auf die Wange. »Hab einen schönen Tag. Wir sehen uns heute Abend.«
    Ihre Blicke trafen sich. In seinen Augen stand etwas, das sie nicht zu entziffern vermochte. Hatte sie ihn überrascht, weil sie ihn nicht wegen des Schimpfwortes tadelte? War es der Kuss? Was ging hinter seiner Stirn vor?
    »Bye«, sagte er und eilte an ihr vorbei zur Tür hinaus. Sie hörte seinen acht Jahre alten Honda Civic aufheulen, dann war er fort.
    Sie griff nach ihrer Handtasche, vergewisserte sich, dass ihre 9-Millimeter-Glock in dem Gürtelholster steckte, nahm ihre Aktentasche und ihr Handy und eilte ihm nach, ihrer Krise entgegen. Erst als Jill den Honda Accord anließ, dämmerte ihr, dass er doch mit dem provokanten J-Slim-T-Shirt in die Schule gefahren war.

4
    8.32 Uhr
    Derek Stillwater hinkte durch den Salon seines Kabinenkreuzers, der Salacious Sally, und inspizierte den Inhalt seiner beiden teilweise gepackten Marschtaschen. Wo ist mein Pass?, dachte er und drehte sich langsam im Kreis, durchsuchte mit Blicken den ganzen Salon. Dort lag er, auf dem Beistelltisch der braunen Ledercouch. Als er hinging, schonte er sein linkes Bein, das ihm weit größere Schwierigkeiten bereitete, als ihm lieb war. Fünf Wochen waren seit der Operation vergangen, aber er genas längst nicht so schnell, wie er es sich wünschte. Der Arzt überlegte sogar, ihn wieder ins Krankenhaus zu stecken und erneut unters Messer zu nehmen.
    Derek befürchtete, dass sein Bein nicht mehr komplett heilen würde. Da spricht der Pessimist in mir, dachte er. Der verdammte Mistkerl soll sehen, dass er sich verzieht. Er nahm den Pass und ging zu dem Rucksack und der Sporttasche, die er seine Marschtaschen nannte – kurz für Nichts-wie-weg-und-Abmarsch-Taschen. Er hielt sie 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche und 52 Wochen im Jahr bereit, falls man ihn zu irgendeinem nationalen Notfall oder dem drohenden Weltuntergang rief.
    Aber nein, diesmal nicht. Jetzt nicht mehr. Er hatte etwas anderes zu tun. Etwas Unerledigtes.
    Das Sonderhandy jaulte. Derek starrte es an. Es lag neben dem Rucksack. Derek ignorierte es und kontrollierte seinen Colt.
    Das Handy heulte weiter, ein lautes Sirenengeräusch, das an- und abschwoll. Durchdringend.
    Es verstummte.
    Er schob den Colt neben den Pass in den Rucksack. Er hatte dafür gesorgt, dass er die Waffe nach Mexiko mitnehmen durfte. Leicht war es nicht gewesen, er hatte etliche Hebel in Bewegung setzen müssen und nicht nachgegeben.
    Auf dem Tisch lagen noch einige weitere Dinge. Mineralwasser in Flaschen. Geld in verschiedenen Währungen – Peso, Euro, Dollar, Pfund. Ein Feldstecher. Eine Flasche mit Wasserreinigungstabletten. Ersatzbatterien. Eine Packung Granolariegel. Ein Pen, ein Injektionswerkzeug in Form eines dicken Kugelschreibers, mit Atropin, einem Gegengift für eine Vielzahl biologischer und chemischer Kampfstoffe.
    Das Handy klingelte erneut. Diesmal nahm Derek es in die Hand und drückte die Annahmetaste. General James Johnston sagte: »Derek, wir haben –«
    »Nein«, erwiderte Derek und schaltete ab. Er warf das Handy auf den Tisch und packte sorgfältig den Rest seiner Ausrüstung. Er glaubte, das Wummern eines näherkommenden Hubschraubers zu hören. Die Salacious Sally lag in Bayman's Marina in der Chesapeake Bay vor Baltimore. Hubschrauber waren hier alltäglich.
    Das Handy klingelte wieder. Das hohe Heulen ließ sich unmöglich ignorieren. Derek nahm ab. »Sie vergessen«, sagte er, »dass ich gekündigt habe. Ich arbeite nicht mehr für Sie.«
    General James Johnston, Minister für Heimatschutz der USA, sagte: »In Detroit gab es einen Vorfall, bei dem wir Sie brauchen.
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