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Gesundheit, Herr Doktor!

Gesundheit, Herr Doktor!

Titel: Gesundheit, Herr Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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Havens. Sir Lancelot Spratts Hauschirurg war ein stämmiger, brünetter, glattrasierter Bursche, der in diesem Augenblick mit gerunzelter Stirn gegen seine Gewohnheit tiefe Beunruhigung kundtat.
    «Er nimmt gar nichts. Ich habe sogar die Klos durchsucht.» Sein Kollege Hugo Raffles war blond, dünn und rotbackig, einer von den jüngeren hauseigenen Anästhesisten.
    «Ich hab in seiner Bude angerufen. Die Hauswirtin sagt, er sei die ganze Nacht über fort gewesen. Sie war recht unwirsch, weil sie ihm ein spezielles und sehr kräftigendes Frühstück, bestehend aus Eiern mit Schinken, bereitet hatte. Hat er nicht zufälligerweise hier irgendwo im Haus geschlafen?»
    «Ich hab überall nachgeschaut. In und unter jedem Bett. Wir hätten es sicherlich schon zu Ohren bekommen, wenn er das Schwesternquartier heimgesucht hätte.»
    «Sollte er am Ende eine Überdosis von Barbituraten zu sich genommen haben, um nicht antreten zu müssen?»
    «Höchst unwahrscheinlich. Er hat doch keine Ahnung, wie hoch die Normaldosis ist.»
    «Ich hab’s schon langsam satt, ein Auge auf diesen Fall von chronischem Infantilismus zu haben. Erinnerst du dich, wie wir uns plagen mußten, um ihn unlängst hierherzubringen? Als er glaubte, die Prüfung sei für den nächsten Tag angesetzt.»
    «Was er Sir Lancelot auseinandersetzte —»
    «Der ihm zu seiner Annahme gratulierte, er könne über Nacht die ganze Chirurgie erlernen. Man sollte Sir Lancelot nie die geringste Chance geben, Hiebe auszuteilen. Sie sind mörderisch.»
    «Erinnerst du dich noch seines Durchfalls in Anatomie?» fragte Hugo.
    «Als man ihm ein weibliches Becken zeigte, in dem er den Alcock’schen Kanal identifizieren sollte, nachdem er sonst nichts erkannt hatte.»
    «Er zeigte auf die Vagina.»
    «Da ist er ja!» rief Tony.
    Pip kam mit ziemlich offenem, flatterndem Rüschenhemd durch den Haupteingang geeilt.
    «Seltenes Glück, daß ich gleich auf euch stoße», bemerkte er. «Borgt mir ein paar Pfund.»
    «Wenn das deine einzige Sorge ist -» begann Tony böse.
    «Draußen wartet ein Taxi auf die Bezahlung. Ich habe alles, was ich besaß, für Tombolalose ausgegeben.»
    «Gewohnheitshasardeur, was?» murmelte Hugo.
    «Hast du Einfaltspinsel schon erfaßt, daß du in genau sechs Minuten zur Prüfung antreten mußt?»
    «Ja, ja, auch mir ist schon aufgefallen, daß die Zeit sehr rasch vergeht. Meine Uhr ist in letzter Zeit irgendwie aus dem Rhythmus geraten. Aber deshalb muß man ja nicht in Panik verfallen. Hab ich’s nicht schließlich doch geschafft?» fragte er selbstgefällig.
    «Aber du kannst zur Prüfung nicht in einem solchen Aufzug antreten», sagte Tony scharf.
    Pip maß seine Kleidung mit einem einsichtsvollen Blick. «Das wohl nicht. Borg mir doch einen weißen Mantel.»
    «Du brauchst auch eine Krawatte.»
    «Und eine Rasur», meinte Hugo. «Du weißt doch, wie gefährlich es ist, Sir Lancelots scharfe Zunge durch nachlässiges Aussehen herauszufordern. »
    Pip rieb sich wieder einmal das stachelige Kinn. «Vielleicht. Nun, ich weiß, daß ich mich auf gute Freunde wie euch verlassen kann.»
    «Komm, wir wollen uns wenigstens dem Schlachtfeld nähern», mahnte Tony und packte Pip am Samtärmel.
    Die klinische Prüfung fand im Virtus-Saal, Sir Lancelots chirurgischer Männerstation oben im zehnten Stock, statt. Die Chirurgie hatte sich seit ihrer Blütezeit unter Sir Frederick Treves und Sir Betram Bunn gewaltig verändert und weiterentwickelt. Die chirurgische Schlußprüfung hingegen überhaupt nicht. Patienten aus Krankensälen und Ambulanz, deren Leiden nicht allzu deutlich erkennbar waren, wurden eingeladen, an ihren Übeln den Verstand der Studenten zu messen. Das Entgelt dafür war gering, doch viele Patienten kehrten gern ins Spital zurück, um dem Fortschritt der chirurgischen Wissenschaft auf eine so schmerzlose Art zu dienen. Zudem schuf in den Tee-mit-Kuchen-Pausen die ungehemmte Diskussion über die gegenseitigen Leiden den schmeichelhaften Eindruck, Mitglied eines exklusiven Klubs zu sein.
    Die drei jungen Männer fuhren nun im Lift zum zehnten Stock hinauf. Hugo erinnerte sich an einen großen Schrank, der vor dem Saal stand und in dem die Kleider und Habseligkeiten der Patienten aufbewahrt wurden. Sie wühlten darin herum. Tony und Hugo hatten genau zwei Minuten Zeit, um Pip physisch und geistig aufzumöbeln.
    «Bedenke, daß Sir Lancelot in letzter Zeit seelisch weicher geworden ist. Alle sagen es. Man braucht sich nicht mehr vor ihm zu
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