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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
Autoren: Mairisch
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wieder hier zu sein?«, ich bin süffisant, »kann mich kaum noch an dich erinnern.«
    »Elli, ich bin so stolz auf dich, wie du das alles hier gemanagt hast, so ganz alleine.« Er blickt sich demonstrativ um, was keinen Sinn macht, was will er denn sehen. Wie ich alles in Schuss gehalten habe seit vorgestern, seit Großmutter tot ist? Hätte er mir gar nicht zugetraut, kennt mich nur dreizehnjährig und von ein paar Telefonaten seitdem. Aber er sagt es freundlich, aufmunternd, er meint es ehrlich: Er ist stolz auf die Dreizehnjährige in mir. Er hätte es genauso gemacht.
    »Warum hast du Astrid mitgebracht, wenn sie sich nicht reintraut?«
    »Elli, die Geburt ist zwei Tage her, ich konnte sie nicht alleine lassen.«
    »Also traut sie sich wirklich nicht rein!«
    »Natürlich traut sie sich rein, sie – Elli, das ist meine Schuld, ich hatte ihr nicht ...«, er sieht mich an, »ich hatte ihr nicht von Tom erzählt.«
    Da ist es raus.
    »Und ist doch klar – wenn man das nicht kennt und damit nicht gerechnet hat und so, dass man dann eben, vielleicht ... lieber erst mal vorsichtig ist.«
    »Wie heißt er eigentlich?«, frage ich.
    »Wer?«, fragt Willem.
    Und Tom plappert es nach: »Wer, Elli, Elli.«
    Und ich sage: »Willst du Zeit gewinnen, oder was soll das?«
    »Luka«, sagt Willem.
    »Aha«, sage ich und: »Ist er gesund?«
    »Ja«, sagt Willem. Er guckt auf die Uhr und ich weiß nicht warum und ich wette, dass er es auch nicht weiß.
    »Vielleicht kann ich ihn ja mal sehen«, sage ich.
    »Ja«, sagt Willem, »stimmt, ich geh sie mal holen.«
     
    Nach ein paar Wochen im Krankenhaus kam Tom zurück nach Hause. Ich weiß noch, dass Großmutter sagte, ich müsse vorsichtig mit ihm sein, ich solle aufpassen. Sie hat mit mir geschimpft, wenn ich durch den Flur rannte. Damals hat sie das ganze Haus umgebaut, die Böden austauschen lassen, das Treppengitter angebracht. Und ich erinnere mich, dass ich nicht mehr mit Tom spielen wollte. Tom wollte spielen, die ganze Zeit spielen, er wollte rangeln, kuscheln, Fangen spielen. Er war größer und stärker als ich und weil er es witzig fand, legte er sich auf mich und lachte und sabberte und ich konnte mich kaum wehren.
    Ich erinnere mich, dass ich Angst hatte, vor ihm und um ihn. Ich machte mir Sorgen, ich passte auf ihn auf, aber ich wollte nichts mit ihm zu tun haben. Tom war beschädigt und er hatte uns alle mitbeschädigt. Seit Tom zurück war, war ich ernster. Aber das denke ich heute.
    Tom und ich bleiben in der Küche sitzen und warten. Wir sehen uns in die Augen. Es beruhigt uns beide, wenn wir uns in die Augen sehen, das machen wir schon immer so. Gucken uns in die Augen, so lange wie, man sonst nie einem Menschen in die Augen sehen würde. Und ich denke, dass ich ungerecht bin und dass ich nicht so feindselig sein kann gegen Astrid, nur weil Großmutter gestorben ist. Ich kenne Astrid gar nicht. Also stehe ich auf und gehe zur Tür, atme tief durch und ziehe die Tür weit auf. Sie stehen noch beim Auto und kramen Taschen aus dem Kofferraum. Dann kommen sie mir entgegen. Willem trägt zwei Taschen. Ich bin mir sicher: Mit Babyzeug, Windeln und Flaschen und Decken und Öl und allem. Astrid ist zierlich und blond, sie trägt eine Brille und lächelt nervös. Eine unsichere Grundschullehrerin, denke ich, wahrscheinlich noch im Referendariat, ich kann sie mir vorstellen, vor einer lärmenden Klasse kleiner Quäker, überfordert, genervt, mit dünner Stimme. Den Jungen hat sie sich vor den Bauch gebunden. So sieht Astrid also aus, eigentlich ganz freundlich. Wie eine übereifrige junge Mutter eben. An der Tür ist es dann komisch, weil wir nicht wissen, wie wir uns begrüßen sollen. Schließlich geben wir uns die Hand und sehen uns flüchtig in die Augen.
    »Astrid«, sagt Astrid.
    »Elisabeth«, sage ich, »kommt doch rein.«
    Sie gehen an mir vorbei in den Vorflur, bewegen sich umständlich, stellen ihre ganzen Sachen ab und auch wenn Astrid so tut, als wäre sie mit Schuheausziehen und Zu-Boden-Gucken beschäftigt, sehe ich sie nervös umherblicken. Sie will hier nicht sein, ich weiß, sie hat Angst, sie fühlt sich nicht wohl. Als sie ihre Schuhe übertrieben langsam ausgezogen, Willem die Taschen schon längst abgestellt und ihr die Jacke ausgezogen hat, muss Astrid den Kopf wieder hochnehmen und kann meine Blicke nicht länger ignorieren.
    Sie lächelt und sagt: »Ja, das ist der Luka.«
    »Aha«, sage ich, »hab gehört, er ist gesund.«
    »Ja«, sagt Astrid,
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