Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
gußeisernen Deckel hinterm Haus und stemmte ihn auf. Feuchte Kühle drang aus dem gemauerten Schacht. Der alte Brunnen, wie die Kieselsteinprobe ergab, mochte an die zwanzig Meter tief sein.
    Auf der Weide bestellten die Schafe ihren Haushalt: Vorn fraßen sie das Gras ab und düngten hinten, damit es schnell wieder nachwachse. Neben dem äußeren Zaun gluckerte ein Bach vorbei, nicht breit, aber zügig fließend. Nach Fischwasser sah er nicht aus. Daniela und Renate hatten auch nichts diesbezüglich erwähnt.
    Lukas kehrte in den Hof zurück und schaute in die Arbeitsräume der beiden. Wo Renates Webstuhl stand, mußte sich die Milchkammer befunden haben. In der ehemaligen Futterkammer hatte sich Daniela mit Büchern, einem Schreibtisch und einem Sessel für Besucher ihren Beratungsraum eingerichtet. Sie war von der Politik, wo der Zweck jedes Mittel heiligt, zur Astrologie übergelaufen, die nur Mittel zum Zweck besseren Verständnisses sein will. Eine Wendung, die etwas voraussetzt, das kein Parteiprogramm mehr bieten kann, — den Glauben an Fügungen statt an Ellbogen, an das Gesetz nach dem wir angetreten, statt an die Gesetze, die wir manipulieren. Kein ehemaliger Parteifreund, kein Akademiker, konnte ihr diesen Glauben wegdiskutieren, ihre gesunde Intuition, der sie den Umstieg verdankte.
    „Wir müssen wieder menschlicher werden, nicht noch politischer!“ lautete ihr Grundsatz.
    In der Küche spülte er das Frühstücksgeschirr ab, von Hand, ohne chemische Hilfe, nur mit Bürstenstrich und heißem Wasser. Ähnlich verfuhr er mit den beiden Badezimmern, wo er Becken und Wanne schrubbte. Vielleicht aus Übermut, weil der Rücken nicht mehr schmerzte, schleppte er sämtliche Teppiche ins Freie, schüttelte sie aus und zog sie über das noch feuchte Gras. Er hielt das für richtiger als ihnen am Liegeplatz mit dem Staub auch die Wolle herauszusaugen. Wenn ihm dabei sein Elan den Frühstückstee auf die Stirn trieb, so hatte er zu lang auf dem Land gelebt, um Anstrengungen nicht zu schätzen.
    „Der Mensch ist ein Bewegungstier, das täglich wenigstens einmal außer Atem geraten und sich erhitzen soll, was die Poren reinigt. Danach ist er fähig, bei geistiger Arbeit das rechte Maß zu finden“, pflegte er zu sagen. Meist zu sich selbst.
    In seiner Reinlichkeitseuphorie hörte Lukas den Motor erst, als er das dazugehörige Vehikel sah, ein älteres Auto, knapp vor der Hausbank.
    Wer fährt denn so eng, bei so viel Platz?
    Auf die junge Frau, die ausstieg, paßte die Bezeichnung „fesch“ im besten Sinn.
    Also nicht die Putzfrau, die Daniela angekündigt hatte. Zu städtisch, zu hohe Absätze. Andererseits schloß sie das Auto nicht ab, ließ den Schlüssel stecken — also mit Landleben vertraut.
    „Grüß Gott. Sie sind sicher der Herr...“
    „So. Meinen Sie?“ Ihre offene Art gefiel ihm.
    „Der Herr, der auf den Hof aufpaßt.“
    Lukas nickte. „Dann sind Sie die Putzfrau.“
    „Ich mach’ hier sauber!“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Schmidhuber.“ Ihr Blick schweifte zu den Teppichen. „Aber was machen’s denn da?“
    „Morgengymnastik.“
    „Gehn’s!“ Mit kokettem Vorwurf sah sie ihn an. „Sie haben doch g’wußt, daß ich komm!“ Und mit einer Kehrtwendung auf dem hohen Absatz schritt sie zur Tür.
    Ihre Tonart regte ihn an. „Ich finde, jeder Mensch soll sich und zumindest sein Zimmer selber sauber halten. Damit er sieht, wie so ein Körper schmutzt, welche Umstände er verursacht.“
    „Soso“, sagte sie nur. Das war nicht ihr Problem. Auf der Kommode in der Diele legte sie Schmuck ab, entnahm dem Haushaltsschrank vor Renates Atelier eine Wickelschürze und schlüpfte in flache Schuhe.
    Alles geschah knapp, entschlossen. Sie wollte arbeiten. Lukas, von jeher ein Freund fließender Übergänge, erkundigte sich aus ehrlicher Versorgungsabsicht, die seine Person miteinbezog, ob sie zum Essen bleibe.
    Mit viel zu viel Aufwand für das kleine Nein schüttelte sie ihr kurzgeschnittenes, schwarzes Haar. Um zwölf müsse sie gehn, ihre Tochter von der Schule abholen.
    Der Weg war frei. „Was, Sie haben schon eine Tochter?“ Knappes Nicken. „Meine Angela. Sie geht in die erste Klasse.“
    „Respekt! Schon eine so große Tochter.“
    „Und Witwe!“
    Was sagt man da? Man sagt, was man sagt. „Ach, das tut mir leid.“
    „Seit vier Jahren. Da ist mein Mann verunglückt. Tödlich!“
    „Ach!“
    „Er hat sich mit dem Motorrad derrennt. Meine Angela war grad drei. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher