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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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der nächste Satz: „Okay, jetzt sind wir überhaupt nicht mehr verkrampft.“
    An diesem Morgen genoß Lukas den Hof zum ersten Mal bewußt. Martina war weg. Langsam ging er durch das behäbige Gebäude, dessen Mauern mit Kalk gestrichen, mit Schicksalen imprägniert waren. Nicht allein die Einrichtung, von Daniela und Renate bäuerlich belassen, ohne Plastik, ohne Chrom, aber auch ohne Mahagoni oder gar Teak. Gefaßte und abgelaugte Fichtenmöbel dominierten, Handarbeit, kein nachgemachter Maschinenausstoß.
    Der Bühlhof — so hieß das mehr als zweihundert Jahre alte Anwesen — war unverfälscht. Von den Türklinken und Beschlägen, bis zu den Fenstern mit Sprossen, alles atmete Gewachsenheit. In der Diele lag eine Kuhdecke auf dem alten Pflaster, in den Zimmern, die fast alle nahezu quadratisch und das heißt von vornherein gemütlich waren, bedeckten handgewebte Fleckerl- und Schafwollteppiche breite Riemenböden. Nicht völlig. Es gab keinen ausgelegten Raum, mit Chemiefaser auf nacktem Beton, wie in Lukas’ neuer Wohnung. Die blanke, gescheuerte Holztreppe zeigte natürlich Patina, ohne den fatal glänzenden Schonbezug eines Versiegelungsanstrichs.
    Daniela und Renate hatten den Fortschritt auf Nützliches beschränkt: fließendes Wasser, zentrale Ölheizung — neben Kachelöfen und Herd — sowie Strom für zeittypische Daseinserleichterungen, unter ihnen jedoch keine Automaten, keine Schaltuhren, die in Abwesenheit braten oder Fernsehprogramme aufzeichnen, keine Bügelpresse, keinen Geschirrspüler.
    Was diese Besteckblindmacher außerdem leisten, hatte Lukas einmal von einem schottischen Herzog erfahren. Bevor sie den Tee nahmen, führte ihn der karierte Edelmann durchs Schloß, das nur noch von einer Alarmanlage bewohnt wurde. Dabei fiel Lukas neben Tintorettos, Reaburns, Gainsboroughs, ein ungewöhnlich umfangreiches Porzellanservice auf. Es stammte aus dem achtzehnten Jahrhundert, war mehr als tausendteilig, jedes Stück mit dem Familienwappen verziert. Auf einigen dieser Stücke, zweiundsiebzig genau, war das Decor deutlich blasser.
    Der Herzog lachte in Hochland-Lautstärke: „Die waren jahrzehntelang verschollen. Kürzlich habe ich sie von einem Auktionator aus den USA zurückgekauft. Dort dienten sie einer Upperten-Familie als Traditionskulisse und kamen täglich in die chemische Reinigung!“
    Lukas erinnerte sich, die Herzogin, die ihm den Tee einschenkte, gefragt zu haben, ob die Tasse handgespült sei.
    „Eigenhändig“, hatte sie geantwortet. „Das Personal zum Porzellan hat Ausgang. Lebenslänglich.“
    Auf dem Bühlhof gab es keinen Aufwand, keine Kunstschätze, keine Böden, auf die keine Zigarette fallen darf. Nahezu alle Gebrauchsspuren konnten mit Schmirgelpapier, Schnitzeisen oder Hobel beseitigt werden. Oder man ließ sie. Das Leben ist ein Abnutzungsprozeß, Bewegliches, wie die drei Gläser, die Martina vor ihrer Abfahrt mit der Schultertasche elegant von der Stubenkommode gefegt hatte, ließen sich ersetzen. Sie trugen glücklicherweise kein herzogliches Wappen.
    Erst am Frühstückstisch hatten sie sich wieder gesehen. Da Lukas unten im Gästezimmer schlief, sie oben in der ehemaligen Kammer von Renates Sohn Alexander, und sich im Hause zwei Bäder befanden, hatte es keine sanitären Überschneidungen mehr gegeben. Martina zeigte sich cool mit kleinem Lächeln, wie die Ehefrau zum Liebhaber im Beisein des Gatten. Sie ließ sich bedienen, stellte keinerlei Fragen nach seinem Befinden und auch sonst nicht.
    Im Zu-Haus vergegenwärtigte er sich noch einmal Renates Ausbauplan.
    Und hier will diese Stadtpflanze einziehen! Wie kam sie nur auf den Satz mit der Zärtlichkeit?
    Ein leichter Schmerz fuhr ihm ins Kreuz und blockierte weitere Gedanken an den Abend. Martina hatte den Hof noch einmal gelobt, bevor sie mit einem forschen „Ich melde mich wieder! Tschüß!“ davonfuhr. Die Landfrau war fort und hatte die Stadt mitgenommen. Damit hing sein genießerischer Rundgang zusammen, ganz gewiß. Das Zu-Haus, keine dreißig Jahre alt, war in seiner Bausubstanz einwandfrei und absolut trocken. Feuchte Gemäuer kannte Lukas aus Schottland zur Genüge und hatte das nachträglich unterfangene und vertiefte Fundament des Bühlhofs, wie auch das verschalte Dach, sofort erspäht.
    Oben und unten dicht — vorher geht nichts!
    Weiter um den Gemüsegarten herum, der nicht wegen der Touristen sondern wegen der Hühner bei allen Höfen eingezäunt ist, ging er mit einer Eisenstange zu dem
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