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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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der Schaufel. Ich werde den Kranken spielen, und sie muß mich pflegen.
    Feierlich senkt der eiserne Engel seine hydraulischen Arme. Die Himmelfahrt ist beendet. In der Wiege zu Martinas Füßen liegt das Knäblein in Vatergestalt, starr vor Schmerz. „War’s sehr schlimm?“ fragt sie immerhin.
    Maxi schüttelt den friesenblonden Schopf. „Den ganzen Torf hat’s rausg’schwappt!“ Und seine Achtung vor dem stummen Helden steigt. Steigt weiter, als er ihn aufhebt und im Patengriff wie einen Täufling durch die Tür trägt. Lukas gestaltet seinen Schmerz sparsam. Eine noble, hochästhetische Rolle. Der rührende Riese legt ihn aufs Kanapee in der Stube. „Am besten, wär jetzt a heißes Bad! Das entkrampft.“ Vier Augen sind auf Martina gerichtet, sehen wie der Groschen fällt: Jetzt hat sie den Schwarzen Samariterpeter.
    Die Zähne beim Händedruck zusammengebissen, dankt der Gerettete dem Retter, läßt sich den Hof nennen, von dem er stammt. Er wird sich melden. Der Maxi geht, Martina schaut und schweigt. Durch die ständige Als-ob-Attitüde des Fernsehschaffens, vermag sie gespielten Schmerz von echtem nicht mehr zu unterscheiden. Endlich kommen die Daumen zu würdigem, ihrer Kraft entsprechenden Einsatz. Sie läßt Wasser in die Wanne, stützt ihn ins untere Bad, wo sie ihn uneigennützig entkleidet und ihm in die Wanne hilft, Prozeduren, die Geduld erfordern.
    Lukas schenkt ihr nichts. Er plantscht nicht eigenhändig, läßt planschen. Sie merkt nicht, wie scharf sie bei allem, was sie tut, beobachtet wird, merkt nicht einmal, wie gut es ihr selber tut, daß sie immer mehr mitdenkt, mitempfindet. So gefällt sie ihm. Er lächelt ihr zu.
    Jetzt mag sie ihn wieder, weil sie sich mag, in ihrem Bemühen. Vom Samariterdienst wie vom Zucken im alhambra gleichermaßen erhitzt, zieht sie sich aus, steigt zu.
    „Ich paß schon auf.“ Zum ersten Mal hat ihr Lächeln so etwas wie Wärme.
    „Es geht mir schon besser“, gesteht er, um sich etwas Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Das Simulieren hat ihn verkrampft. Während sie sich am Fußende niederläßt, winkelt er ein Bein an und legt es neben das ihre.
    „Okay!“ staunt sie. Der persönliche Lustgewinn ist in ihren Augen nicht zu übersehen. In seinen auch nicht.
    So hab ich’s eigentlich meistens gemacht, früher! denkt er zurück. Viel gebadet. Ein reinlicher möblierter Herr.
    Die Erinnerung hat offenbar Strahlkraft, Martina beginnt sich zu räkeln, gibt ihm die Seife, damit er sie anfasse.
    „Vorsicht!“ warnt er, seift aber die knochigen Schultern. Sie ko mm t in Bewegung. Selbst im Wasser fühlt sie sich an, wie ein Sack voller Hirschgeweihe.
    „Vorsicht!“ Wie zärtlich er das sagt, fällt ihm auf.
    Sie nimmt keine Rücksicht, greift an, mündlich und manuell. Wasser ist ein guter Leiter. Auch für schlechtes Gewissen. „Laß das! Ich will das nicht!“
    „Stimmt ja gar nicht“, widerspricht sie. Er muß etwas übersehen haben. Auch Simulieren hat seine Grenzen. Martina ist allgegenwärtig.
    „Ich bin ganz vorsichtig, okay?“ flüstert die geschulte Stimme in sein Ohr. Er antwortet nicht, gibt sich aber, Konzession an seinen nervlichen Zustand, mit dem Tatort zufrieden.
    Ihr Lusteifer wirkt wie aus dem erotischen Sonderangebot einer Boulevardzeitung. Sie gibt sich als Frau, die alle Tricks kennt, verbleibt dadurch im Mechanischen und tut alles, da die Möglichkeiten eben doch beschränkt sind, viel zu ehrgeizig. Dazu hält sie eine Art Stimulationsconférence.
    Schade.
    Mag Lukas sich drehen und wenden, wie er will, überall stößt er auf Knochen, spitz genug, ihm das Geschehen unvergeßlich einzuprägen als das spartanischste Intimwork seines Lebens. Auch unter diesen Umständen kommt es, wie es zu kommen pflegt. Bis auf ihren Begleittext, der nicht hätte kommen dürfen.
    Mit triumphierendem Lächeln lehnt sich die Bildschirmprominenz zurück. Ihr Blick wird eindringlich und gelinde zynisch. „Genauso hast du’s mit Renate gemacht. Stimmt’s?“
    Verwundert, noch im Gradausdenken gefangen, überlegt er, ob dem so war, oder ob sie nur herumtastet.
    „Und mit Daniela hast du auch was gehabt!“
    Aha! Deswegen. Schade.
    Ihr Mund wird spöttisch. „Du mußt früher sehr viel zärtlicher gewesen sein.“
    „Ich bin Patient. Hilf mir bitte raus.“ Er stemmt sich hoch, mit knochenreicher Unterstützung. Das Thema bleibt in der Wanne. Erst nachdem sie ihn abgetrocknet hat, recht behutsam übrigens, fällt im Plural der Krankenschwestern
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