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Gesponnen aus Gefuehlen

Gesponnen aus Gefuehlen

Titel: Gesponnen aus Gefuehlen
Autoren: Marah Woolf
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flüsterte sie nach einer Weile.
    »Und das haben wir, so gut wir konnten«, tröstete sie ihr Mann.
    »Weshalb habe ich dann das Gefühl, versagt zu haben? Was, wenn er dem Mädchen etwas antut? Ich könnte es nicht ertragen, wenn ihm etwas zustößt.«
    »Das wird es nicht, da bin ich sicher.«
    »Aber du hast doch gehört, worüber er und sein Großvater gesprochen haben«, widersprach Sofia. »Das war eindeutig, oder willst du sagen, dass du es falsch verstanden hast? Das musst du nicht, nur um mich zu beruhigen. Sie werden das Mädchen nicht in Ruhe lassen.«
    Sofia stand auf und lief aufgeregt in der Küche auf und ab. »Können wir denn nichts unternehmen? Können wir das Mädchen nicht warnen? Es muss etwas geben. Kennst du ihren Namen?«
    Harold verneinte.
    Plötzlich blieb Sofia stehen und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Natürlich«, sagte sie. »Die Bibliothek. Das Mädchen arbeitet in der Bibliothek.«
    Harold nickte ergeben.
    »Ich rufe morgen dort an.«
    »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, versuchte Harold zu widersprechen. »Wir sollten uns nicht einmischen.«
    Sofia überhörte die fast flehenden Worte ihres Mannes.
    »Natürlich geht uns das was an. Ich lasse nicht zu, dass Nathan sich in ein Monster verwandelt wie sein Großvater. Diese Sache hat bereits zu viel Leid verursacht.«
    »Du wirst nicht nachgeben, oder? Auch wenn ich dich darum bitte«, fragte Harold seine Frau.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann bitte ich dich nicht«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Du wirst niemanden anrufen.«
    Er stand auf und verließ den Raum. Sie hätten fortgehen sollen, als sie noch jünger gewesen waren, sagte er sich. Jetzt war es zu spät. Doch Sofia hätte Nathan nie allein gelassen. Sie hatte versprochen, sich um ihn zu kümmern, und dieses Versprechen hatte sie gehalten. Nun blieb ihnen nichts anderes übrig, als genauso weiter zu machen wie all die Jahre zuvor. Nie hätte er sich träumen lassen, in welche Geschichte er hineingeraten würde, als er vor gut vierzig Jahren die Stellung auf dem Landgut der de Tremaines angetreten hatte. Er war so stolz gewesen und hatte viel zu spät bemerkt, dass dort nichts mit rechten Dingen zuging.

 
    Das Paradies habe ich mir immer
    als eine Art Bibliothek vorgestellt.
     
    Jorge Luis Borges

3. Kapitel
     
    »Fahren Sie«, kreischte Lucy.
    Der Fahrer ließ die Türschlösser zuschnappen und gab Gas. Ihr riesenhafter Verfolger packte den Türgriff und Lucy erwartete beinahe, dass die Autotür aus der Verankerung riss. Doch der Wagen machte einen Satz und fuhr los. Lucy drehte sich um, und sah in ein wutverzerrtes Gesicht.
    Hektisch wählte sie Colins Nummer.
    »Colin«, schrie sie in den Hörer. »Sie sind hinter mir her. Ich komme nach Hause. Ich weiß sonst nicht, wohin. Bitte, bitte, komm runter!«
    »Soll ich die Polizei rufen, Miss?«, fragte der Taxifahrer.
    Polizei überlegte sie. Was sollte sie denen sagen?
    »Nein. Vielen Dank. Das ist nicht nötig. Es ist nur ein Spiel.«
    »Dafür klang es wirklich echt. Sind Sie Schauspielerin?«
    Lucy nickte und starrte durch die Rückscheibe nach draußen.
    Der Mann stand im Licht der Straßenlaterne und sah ihnen nach. Er wurde jede Sekunde kleiner und sie atmete auf.
    In diesem Moment geschah etwas Grauenvolles. Lucy traute ihren Augen nicht. Das konnte unmöglich passieren. Der Mann, oder sollte sie lieber sagen das Wesen, krümmte sich zusammen, verschwamm vor ihren Augen. Kurze Zeit später stand an seiner Stelle ein Hund. Es war dieselbe schwarze Kreatur, die sie vor wenigen Tagen unter ihrem Fenster gesehen hatte. Sie setzte zum Sprung an und jagte dem Wagen in Riesensätzen hinterher.
    »Fahren Sie schneller«, forderte Lucy den Fahrer tonlos auf, ohne die Augen von dem Tier zu lassen. »Fahren Sie schneller.«
    »Ich tue mein Bestes, Miss, aber ich muss mich an die Vorschriften halten, sonst verliere ich meine Lizenz.«
    Lucy traute sich nicht, ihn auf den schwarzen Höllenhund aufmerksam zu machen, der ihrem Wagen folgte. Sie betete, dass er es auf Dauer nicht schaffte, dem Taxi in dieser Geschwindigkeit zu folgen. Sie ließ den dunklen Schatten nicht aus den Augen. Im Grunde hat er es nicht nötig, mir zu folgen. Er weiß, wo ich wohne. Die Angst in ihrem Inneren wurde übermächtig. Mit zitternden Fingern zog sie ein paar Pfundnoten aus ihrer Jacke. Als der Fahrer vor ihrer Haustür hielt, warf sie ihm die Scheine hin. Colin stand bereits neben dem Auto und
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