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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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Normalverbraucher ist ein solcher Umgang mit dem auf uns einstürmenden Geschehen, das wir Geschichte nennen, oft die einzige Chance, sich gegen allzu zudringliche Schicksalsmächte zu wehren, und das Lachen als Reaktion ist wahrscheinlich allemal gesünder als der eschatologische Trost, den der Voodoo-Zauber der Geschichtsphilosophie zu bieten hat. Humor ist, wenn man trotzdem lacht  – die gängige Redewendung
reflektiert höchst einprägsam das Widerständige, das im Lachen zum Ausdruck kommt. Wer wie Alexis Sorbas in dem gleichnamigen Film nach der Romanvorlage von Nikos Kazantzakis angesichts des eigenen Scheiterns in ein homerisches Gelächter ausbrechen kann, gibt damit zu erkennen, dass er realistisch genug ist, die condition humaine anzuerkennen, nicht aber bereit, sich dem Lauf der Dinge widerspruchs- und widerstandslos zu unterwerfen. Und wenn er auf diese Weise vermeiden kann, vor lauter Ärger Magengeschwüre zu bekommen, ist diese Einstellung darüber hinaus auch noch gesund.
     
    Dass Lachen gesund ist, ist eine Überzeugung, die schon in der Antike vertreten wurde. In dem Briefroman Perí maníes des Pseudo-Hippokrates wird von Demokrit gesagt, er habe das Lachen als Medizin verschrieben. Das war, wenn es denn stimmt, sicher ganz gegen den Geschmack der Platoniker, deren Ahnherr die Gaukler, Spaßmacher und Musiker am liebsten ganz aus der Gesellschaft vertrieben hätte. Nicht einmal die eutrapelía, das »schönwendige Lachen«, dem Aristoteles in der Nikomachischen Ethik bescheinigt, dass es im geselligen Gespräch einen legitimen Platz habe, wollten sie gelten lassen. Nach Aristoteles aber, der das Lachen für eine spezifische Fähigkeit des Menschen hielt, waren Spielverderber, »die keinen Scherz von sich zu geben vermöchten und die ein saures Gesicht ziehen, wenn ein Witz fällt«, genauso zu verachten wie die groben und taktlosen Possenreißer.
     
    »Zu jedem menschlichen Problem«, hat Walter Lippmann, der bezüglich der Urteilsfähigkeit des gemeinen Volkes bekanntlich äußerst skeptisch war, einmal gesagt, »gibt es eine Lösung, die einfach, sauber und falsch ist«. Dieses hochfahrende Verdikt muss nicht niederdrücken, es kann auch zum Lachen reizen und so den Himmel, der soeben noch verdunkelt schien, wieder öffnen. Den Besserwissern mit ihren
Patentrezepten die tückische Komplexität des Einzelfalls entgegenzuhalten, hat ja durchaus eine wichtige aufklärende Funktion. Auf einen Schlag kann ein befreiendes Lachen das scheinbar wasserdichte Gewebe der Fakten und der sich auf sie stützenden Argumentation zerreißen und den Blick freigeben auf das dahinter Verborgene. Zum Beispiel auf die Interessenlage und die Borniertheit jener Experten, von denen Lippmann erwartete, dass sie allein in der Lage seien, das Gemeinwohl zu bestimmen.
     
    Das Lachen bindet das Denken an die Konkretheit und Wandelbarkeit des Lebens zurück und gewinnt eben dadurch seinen die überkommenen Denk- und Herrschaftssysteme transzendierenden Charakter. Nach Friedemann Richert ist genau dies das Ziel, das Thomas Morus mit seiner berühmten Utopia anstrebt: »den Ernst der Lage so ins Auge zu fassen, dass man darüber in ein gemeinsames befreites und befreiendes Lachen – im wahrsten Sinn des Wortes – ausbrechen kann«. 101 Gerade die Einkleidung der Suche nach dem besten Staat in die Form der Komödie, so Richert, wirke wahrhaft befreiend, weil sie die gesellschaftlichen Fronten auflöse und damit denkbar mache, was in den ideologischen und interessegeleiteten Kämpfen der Zeit nicht zur Sprache kommen könne. 102 Das Komische ist nicht nur komisch, es gewinnt vielmehr eine kritische Funktion, indem es die dominante Realität verflüssigt und die Perspektive einer Gegenwelt eröffnet.
     
    Freilich hat die Utopia des Thomas Morus nichts mit jenem technizistischen Hochmut und Machbarkeitswahn zu tun, der große Teiles des neuzeitlichen utopischen Denkens befeuert, und ganz gewiss nichts mit den »transhumanistischen« Träumen heutiger Biowissenschaftler. Die lachende Vernunft
bleibt der Erde verhaftet, versteigt sich nicht in Fantastereien vom Übermenschen und ist sich stets ihrer eigenen Grenzen bewusst. »Nur solche Grenzlagen reizen zum Lachen«, heißt es bei Helmut Plessner, »die, ohne bedrohend zu sein, durch ihre Nichtbeantwortbarkeit es dem Menschen zugleich verwehren, ihrer Herr zu werden und mit ihnen etwas anzufangen«. 103 Was uns die lachende Vernunft vor allem lehrt, ist, dass die Vernunft
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