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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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Schopenhauerianer Ulrich Horstmann, der Burton in den neunziger Jahren neu übersetzt und ediert, sind solche Utopien Träume, zu deren – auch nur ansatzweisen – Realisierung besser nichts unternommen werden sollte, weil der unbestechliche Blick auf die wahre Natur des Menschen von vornherein jede weltverbessernde Tat vergeblich erscheinen lasse. Burton, Pfarrer und Theologe am Christ Church College in Oxford, der sich das Pseudonym Democritus Iunior zulegt, bleibt schwankend: Einerseits ist ihm die melancholische Weltsicht die einzige wahrhaftige, das zwingende Ergebnis einer nüchternen Bilanzierung jahrtausendlanger menschlicher Erfahrung; andererseits betrachtet er die Melancholie in der Tradition des Hippokrates und Galenus als Krankheit und mobilisiert das ganze Wissen seiner Zeit in der Absicht, sie zu heilen. Das Leben in seiner Widersprüchlichkeit und Endlichkeit vorbehaltlos zu bejahen, ist ihm nicht gegeben. Aber er wappnet sich, so gut er eben kann, gegen die elitäre Verachtung der »kleinen Leben« und des Strebens nach so etwas wie Fortschritt, die Horstmann mit Nietzsche teilt.
     
    In seinem Buch Das Untier – Konturen einer Philosophie der Menschenflucht macht sich Horstmann daran, dem Schopenhauer’schen Pessimismus eine geschichtsphilosophische Grundlage zu geben. Mit einem Augenzwinkern, das ist wahr, wie das vorangestellte Motto von Pascal verrät – Der Philosophie spotten heißt wahrhaft philosophieren  – , vielleicht
aber auch, um sich bei Bedarf von seiner allzu steilen These distanzieren zu können. Hatte noch Burton, ganz guter Christ, den Menschen an sich als eine perfekte Schöpfung Gottes gefeiert, die allein durch den Sündenfall nachhaltig und unverbesserlich verdorben worden sei, so ist der Mensch für Horstmann von Anfang ein grandioser Irrweg der Evolution, ein Untier , das sich in herausragenden Exemplaren auch schon immer seiner grotesken Missgebildetheit bewusst war. Eben davon zeugen nach ihm die zahlreichen Berichte über Melancholie bei Geistesgrößen von der Antike bis in die Gegenwart. Die ganze Menschheitsgeschichte läuft nach Horstmann einer inneren Logik folgend darauf hinaus, die Missgeburt Mensch wieder von der Erde zu tilgen. Und nun – sein Buch erscheint Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts – ergibt sich nach der Logik des atomaren Rüstungswettlaufs endlich die historische Chance, dass das Untier die Schöpfung von sich selbst befreit, indem es einen alles Leben auf der Erde vertilgenden Atomkrieg auslöst. Dann endlich, so heißt es am Ende des Horstmann’schen Essays in einer ekstatischen Dithyrambik, die an Nietzsches Zarathustra erinnert, wird Frieden sein, »über dem nackten Fels seiner Heimat (...) und auf den Steinen liegt der weiße Staub des Organischen wie Reif«. 95
     
    Gegenüber gedankenlosen Optimisten, die sich gegen alle Evidenz die Welt schönreden, haben kluge und gebildete Pessimisten wie Horstmann immer recht. Aber das heißt noch lange nicht, dass Lebensbejahung, wie Horstmann insinuiert, eine Form der Geistesschwäche ist, dass der eine naiv und verblendet, der andere hingegen klarblickend und mutig ist. Dass es vielmehr darum geht, wie man dieselbe Sache, denselben Zustand der Welt betrachtet, zeigt das Bonmot des amerikanischen Schriftstellers James Branch Cabell: »Der Optimist erklärt, dass wir in der besten aller möglichen Welten
leben, der Pessimist fürchtet, dass das wahr ist.« Ihnen beiden gegenüber steht der milde Skeptiker, der die unleugbare Tatsache des Leids und des Elends nicht zum Anlass nimmt, alles Schöne, alles Beglückende im Leben abzuwerten. Liebe und Freundschaft, die herrliche Vielfalt der Natur, das Auf und Ab des Lebens, ein gelingendes Gespräch, eine plötzlich aufscheinende Einsicht oder die Lösung eines praktischen Problems, eine komische Inkongruenz oder ein zum Lachen reizender Widerspruch, vielleicht auch die beglückende Ahnung eines Zusammenhangs, von dem er weiß, dass er ihn nie ganz wird erfassen können – all dies nimmt er ebenso wahr wie das Schreckliche, das dem Melancholiker den Lebensmut nimmt. Was Optimisten und Pessimisten unterscheidet, ist nicht der Mangel an Sensibilität und intellektuellem Mut auf der einen und Mitgefühl und Klarsicht auf anderen Seite. Die Differenz ist eine ästhetische: hier der liebende, die Einheit in der Vielfalt suchende morphologische , dort der sezierende , die Außenhaut der Dinge und des Lebendigen durchdringende,
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