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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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von den Händen, und zog seinen Sonntagsrock an, mit den
Spiegelknöpfen, und steckte noch obendrein einen Blumenstrauß vor seinen breiten Brustlatz.« 98
     
    Außer dem wunderbaren Egon Friedell in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit hat kaum ein Geschichtsschreiber je gewagt, sich einer historischen Persönlichkeit mit so viel respektlosem Scharfsinn zu nähern. Wenn es um die Haupt- und Staatsaktionen geht, herrscht in der Regel gravitätischer Ernst, erst recht, wenn der Autor vor allem oder ausschließlich auf akademische Leser zielt. Die asketische Beschränkung auf die dem Forscher in Dokumenten verfügbaren Fakten – die ihren Sinn hat, wenn es gilt, Geschichtsfälschern oder seichten Schwadronierern das Handwerk zu erschweren – bedeutet aber auch, dass die Anschaulichkeit der Darstellung leidet und so manches, was fabulierend ins Licht gehoben werden könnte, im Dunkeln bleibt. Das befreiende Lachen oder Schmunzeln, das Heine mit seiner Darstellung des bigotten Mörders Robespierre auslöst, erhellt einen Zug an dem weltbewegenden Geschehen der Französischen Revolution, der uns sonst verborgen bliebe: die Tatsache nämlich, dass hier in der Person des Maximilien Robespierre dieselbe selbstgerechte Gnadenlosigkeit am Werke war wie bei den von Goya karikierten gottesfürchtigen Biedermännern der Inquisition.
     
    Dass dem vom Gedanken der Erbsünde besessenen Augustinus das Lachen schon deshalb verdächtig war, weil er in ihm – wie vor ihm Johannes Chrysostomos und nach ihm Benedikt von Nursia – nichts als eine unwillkürliche körperliche Reaktion, ein Sich-Aufbäumen des sündigen Leibes gegen die Disziplin des Geistes zu erkennen vermochte, kann nicht verwundern. Den jenseitssüchtigen Kirchenvätern wollte einfach nicht in den Kopf, dass das Lachen auch eine erkenntnisfördernde Funktion haben, uns schlagartig die Unvernunft
und Weltfremdheit eines Arguments vor Augen führen, und, wie Schopenhauer es ausdrückt, dieser »Sieg der anschauenden Erkenntnis über das Denken« uns erfreuen kann. Kein Wunder auch, dass Demokrit, der »lachende Philosoph«, der Kirche ein Gräuel war und Epikur jahrhundertelang von der christlichen Kirche als zügelloser Hedonist und Prediger der Unmoral missverstanden und verketzert wurde, nur weil er in seinem Denken dem Menschen auch als Natur- und Sinnenwesen eine Würde beimaß.
     
    Das änderte sich zaghaft erst, als im Gefolge der Renaissance sich ein anderes Verhältnis zur Körperlichkeit allmählich durchzusetzen begann. Des großen Erasmus Lob der Torheit , diese geistreiche Narrenrede, mit der er seiner Zeit den Spiegel vorhielt, ist ein Paradebeispiel für die lachende Vernunft. Zu Recht schreibt Erasmus in dem Widmungsschreiben an seinen Freund Thomas Morus, »dass jeder Leser, der nicht auf den Kopf gefallen ist, daraus erheblich mehr Gewinn zieht als aus den langweilig-feierlichen Betrachtungen gewisser Schriftsteller, von denen der eine in mühselig zusammengestoppelter Rede die Rhetorik oder die Philosophie preist, der andere einem Fürsten lobhudelt, der dritte den Türkenkrieg predigt, der vierte die Zukunft kündet, der fünfte neue Probleme zum Streit um des Kaisers Bart ausklügelt.«
     
    Aber das »befreiende und befreite Denken« der lachenden Vernunft, das François Rabelais zum »höchsten Gut« des Menschen erklärte, 99 das bei Montaigne auf den gewundenen Pfaden seiner Essays hinter jeder Biegung zu vernehmen ist und das Friedemann Richert zu Recht auch in Thomas Morus’ Utopia entdeckt, wurde schon bald von puritanischen Eiferern ebenso wie von den strengen Proselytenmachern der Gegenreformation wieder in Acht und Bann getan. Die blühende
Erde wurde wieder zum Jammertal, die fröhlichen Volksfeste, der unterhaltende Spott, das geistreiche Wortspiel galten als sündiges Treiben. Himmelwärts sollte der Blick gerichtet werden und sich nicht am zuhandenen, allzu irdischen Schönen erfreuen. Und hatten die düsteren Mahner etwa nicht recht? War die Welt etwa nicht in Unordnung, hatte der Mensch etwa nicht Schuld auf sich geladen? Gab es nicht tausend Gründe, Buße zu tun, um womöglich doch noch der Gnade teilhaftig zu werden?
     
    Dir wird das Lachen noch vergehen! Wer das sagt, hat letztlich immer recht. Irgendwann vergeht uns allen das Lachen – spätestens, wenn wir sterben. Und wer keinen besseren Grund hat, sich gegenüber seinen Mitmenschen freundlich, hilfsbereit und anteilnehmend zu verhalten, als weil er befürchtet,
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