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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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sonst der ewigen Verdammnis anheimzufallen, wie soll der sich noch des Lebens freuen können? Dass es mit der Welt nicht zum Besten steht, das wissen auch die Dichter und Denker, die das Lachen immer noch nicht verlernt haben. Sie möchten nur das Elend nicht noch vergrößern, indem sie sich selbst und andere mit gnadenloser Logik und abstrakter Begrifflichkeit traktieren und darüber die Fülle des Lebens und das uns erreichbare Glück aus den Augen verlieren.
     
    Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, nur der habe ein heiteres Gemüt, könne sich am Leben erfreuen, der vor dem Elend und der Grausamkeit der Welt die Augen verschließe. Die Denker, die in der Nachfolge Demokrits und Epikurs sich gegen griesgrämigen Dogmatismus und abstrakte Systembastelei wenden und in ihrem Denken auch dem befreiten und befreienden Lachen Raum geben, sind mit den Schattenseiten des Lebens durchaus vertraut. Das gilt auch für den englischen Frühaufklärer Shaftesbury, der den humorlosen Eiferern und religiösen Fanatikern seiner Zeit, die mit ihrem enthusiasm so viel Unheil anrichteten, mit dem test of ridicule,
dem Instrument der Lächerlichkeitsprobe, zu Leibe rückte. Obwohl er sich entschieden gegen die düstere Anthropologie von Thomas Hobbes wandte, war er kein Träumer, bewahrte er sich zeitlebens einen klaren Blick für den beklagenswerten Zustand der Welt. Kann es womöglich sein, dass gerade diejenigen, die den Riss, der nach Georg Büchner durch die Schöpfung geht, am deutlichsten wahrnehmen und am schmerzlichsten unter ihm leiden, oftmals auf die Gnade des Humors vertrauen, weil ohne ihn die Welt nicht zu ertragen, geschweige denn zu heilen ist?
     
    Seit jeher gehört es zu den Überlebenstechniken des Volkes, angesichts der humorlosen Gewalt des Schicksals und seiner irdischen Agenten auf die kritische, erkenntnisfördernde und entlastende Funktion des Lachens zu setzen. Angesichts einer Weltgeschichte, die widerhallt vom Kriegsgeschrei, in der Tod und Zerstörung allgegenwärtig sind, sind solche widerständigen Lockerungsübungen geradezu lebensnotwendig. Seht doch, der Kaiser ist nackt! Stellt euch vor, es wäre Glatteis auf dem Markt und die Ratsherren in ihren kostbaren Roben, die sich in feierlicher Prozession vom Dom zum Rathaus begeben, liegen plötzlich auf dem Rücken und strampeln mit den Beinen in der Luft wie Käfer. Es ist die lachende Vernunft, die die Hohlheit der Macht und der angemaßten Würde entlarvt und damit eine Ahnung des immer möglichen Besseren in die Köpfe pflanzt. Wäre nicht heute ein schallendes Gelächter die angemessene Reaktion auf jene aufgeblasenen Politiker und Ökonomen, die Mal um Mal den Verhungernden, statt ihren Hunger zu stillen, strengste Diät verordnen, damit sie wieder auf die Beine kommen? Angemessener jedenfalls, meine ich, als ihnen Abend für Abend im Fernsehen ergeben zuzuschauen und zuzuhören, wenn sie ihren lebensfremden und menschenfeindlichen Dogmatismus entfalten.

     
    Solange wir uns von dem würdevollen Ernst, mit dem die Mächtigen ihre Unentbehrlichkeit bekräftigen, täuschen lassen, bleiben wir Gefangene der Verhältnisse. Das Lachen kann den Möglichkeitsraum, den die Rituale der Macht verdecken, auf einen Schlag taghell erleuchten und so unsere Fantasie auf Pfade locken, die aus der niederdrückenden Routine heraus ins Offene führen. Der niederländische Maler Gerard ter Borch hat 1634 einen Reiter in Rückenansicht gemalt, der schlaff auf seinem Gaul hängt und so gar nicht martialisch wirkt, ein Bild, das im Bostoner Museum of Fine Arts zu sehen ist und das, wie der Historiker Simon Schama zu Recht feststellt, »fast einer Parodie der formellen Reiterhelden der Renaissance gleichkommt«. 100 Wenn man als gewöhnlicher Sterblicher gegen die göttergleichen Heroen mit anderen Mitteln keine Chance hat, dann ist es vielleicht keine so schlechte Idee, sie wenigstens wie Don Quixote aussehen zu lassen. Und wenn sie erst einmal ihre weihevolle Aura verloren haben, ist auch ihre praktische Demontage nicht mehr ausgeschlossen.
     
    Sich die Freiheit herausnehmen zu lachen, wo es nach herrschender Meinung nichts zu lachen gibt, worin könnte menschliche Freiheit sich besser beweisen? Ist die Fähigkeit, den Kontext eines Geschehens spielerisch so zu verändern, dass, was soeben noch auf würdevolle oder furchteinflößende Weise ernst erschien, zu befreiendem Lachen reizt, nicht eine der staunenswertesten Gaben des Menschen? Für den
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