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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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den Wolkenbruch, auf Sasha zu, die zehn Meter entfernt in den Dünen stand.
    Carl Scorso lag bäuchlings im Sand.
    Triefnaß und zittern stand sie über ihm und drückte ihren dritten und letzten Schnellader in den Revolver. Ich vermutete, daß sie ihn mit den meisten, wenn nicht sogar allen Schüssen getroffen hatte, die ich gehört hatte, aber sie schien offenbar zu glauben, daß noch ein paar nötig waren.
    In der Tat zuckte Scorso noch und grub beide ausgestreckten Hände in den Boden, als wollte er wie eine Krabbe eine schützende Mulde ausheben.
    Vor Entsetzen erschauernd, bückte sie sich und schoß ein letztes Mal, diesmal direkt in seinen Hinterkopf.
    Als sie sich zu mir umdrehte, weinte sie. Machte keinen Versuch, ihre Tränen zu unterdrücken.
    Ich hatte keine Tränen mehr zu vergießen. Ich sagte mir, daß einer von uns alles zusammenhalten mußte.
    »He«, sagte ich sanft.
    Sie kam in meine Arme.
    »He«, flüsterte sie gegen meine Kehle.
    Ich hielt sie fest.
    Es regnete in Strömen, dermaßen stark, daß ich die Lichter der Stadt nicht sehen konnte, die sich gut einen Kilometer östlich von uns befanden. Moonlight Bay mochte von dieser himmlischen Flut ausgelöscht worden sein, davongespült, als sei die Stadt nur eine kunstvoll errichtete Sandburg gewesen.
    Aber sie war noch da, o ja. Sie wartete darauf, daß der Sturm vorüberzog, und dann auf den nächsten Sturm, der diesem folgen würde, und auf weitere, bis zum Ende aller Tage. Es gab kein Entrinnen für Moonlight Bay. Oder für uns. Niemals. Es war, ganz wörtlich, in unserem Blut.
    Sie umarmte mich noch immer. »Was wird jetzt aus uns?« fragte sie.
    »Wir leben.«
    »Es ist doch alles vermurkst.«
    »Das war es schon immer.«
    »Sie sind noch immer da draußen.«
    »Vielleicht lassen sie uns jetzt in Ruhe – für eine Weile.«
    »Wohin gehen wir nun, Snowman?«
    »Zurück zum Haus. Wir trinken ein Bier.«
    Sie zitterte noch immer, aber wahrscheinlich nicht wegen des Regens. »Und danach? Wir können doch nicht ewig Bier trinken.«
    »Morgen kommt eine große Brandung zum Surfen.«
    »Wird es so einfach sein?«
    »Man muß auf den Riesenwellen reiten, solange man noch kann.«
    Wir gingen zum Cottage zurück, wo wir Orson und Bobby fanden, die auf den breiten Verandastufen saßen. Es war gerade noch genug Platz, daß wir uns neben sie quetschen konnten.
    Keiner meiner Brüder war in der besten Stimmung seines Lebens.
    Bobby war der Ansicht, daß er nur Desinfektionsmittel und einen Verband brauchte. »Die Wunde ist ganz flach, dünn wie ein Schnitt von einer Papierkante, und nur gut einen Zentimeter lang.«
    »Das mit dem Hemd tut mir leid«, sagte Sasha.
    »Danke.«
    Orson erhob sich winselnd, schwankte die Treppe hinunter in den Regen und kotzte in den Sand. Es war wirklich eine Nacht zum Erbrechen.
    Ich konnte den Blick nicht von ihm nehmen. Ich zitterte vor Furcht.
    »Vielleicht sollten wir ihn zu einem Tierarzt bringen«, sagte Sasha.
    Ich schüttelte den Kopf. Kein Tierarzt.
    Ich wollte nicht weinen. Ich weine nicht. Wie verbittert kann man werden, wenn man zu viele Tränen hinunterschluckt?
    »Ich vertraue keinem Tierarzt in der Stadt«, sagte ich, als ich wieder Worte fand. »Sie gehören wahrscheinlich dazu, machen mit. Wenn sie merken, was er ist, daß er eines der Tiere aus Fort Wyvern ist, nehmen sie ihn mir vielleicht weg und bringen ihn ins Labor zurück.«
    Orson hob den Kopf in den Regen, als fände er ihn erfrischend.
    »Sie werden zurückkommen«, sagte Bobby. Er meinte den Trupp.
    »Nicht heute abend«, sagte ich. »Und vielleicht nicht in nächster Zeit.«
    »Aber früher oder später.«
    »Ja.«
    »Und wer noch?« sagte Sasha. »Was noch?«
    »Da draußen herrscht das Chaos«, sagte ich. Mir fiel ein, was Manuel mir erzählt hatte. »Eine radikal neue Welt. Verdammt noch mal, wer kann schon wissen, was die bringt – oder wer gerade hineingeboren wird?«
    Trotz allem, was wir gesehen und über das Projekt in Fort Wyvern erfahren hatten, wurde uns vielleicht erst in diesem Augenblick auf der Verandatreppe so richtig klar, daß wir am Ende der Zivilisation lebten, an der Schwelle des Armageddon.
    Wie die Trommeln des Jüngsten Gerichts schlug der harte Regen unaufhörlich auf die Welt ein. Diese Nacht war wie keine andere, die die Erde je gesehen hatte, und hätte uns nicht fremdartiger vorkommen können, wären jetzt die Wolken aufgerissen und hätten drei Monde statt nur einen und einen Himmel voller unbekannter Sterne
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