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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel
Autoren: Michael Köhlmeier
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erst nach neunhundertvierundsiebzig Versuchen so etwas wie eine brauchbare Weltschöpfungsstrategie gefunden habe. – Wie das ein Mensch ausrechnen kann? Keine Ahnung!
    Aber schließlich hatte Gott eine Vorstellung gewonnen, wie das Chaos geordnet werden könnte. Er faßte einen Plan. In sieben Tagen sollte die Welt erschaffen sein.
    Bevor wir näher auf diesen Plan eingehen, wollen wir das Chaos noch einmal betrachten. Woraus bestand das Chaos? Aus zerschlagenen, angeschlagenen, verletzten, entmachteten Teilen der früheren Welt, der Welt von Apsu und Tiamat. Und diese Teile hatten jedes für sich eine Wesenheit, jedes Teil stand für eine Idee. Die stärkste aller Ideen, eben weil sie sich nicht an dem Krieg beteiligt hatte, war die Idee der Zeit, aus ihr war Gott hervorgegangen. Aber die anderen, die besiegten, verwundeten, entmachteten Wesen, waren ebenfalls noch da, sie irrten beziehungslos herum, und diese Beziehungslosigkeit war das Chaos.
    Das stärkste dieser herumirrenden Wesen repräsentierte die Idee des Lichts, sein Name war Helel ben Schachar, der Sohn der Morgenröte, Träger des Lichts. Er war der gefährlichste Konkurrent für Gott. Um einen Streit und einen neuen Krieg zu vermeiden, machte Gott Helel ben Schachar zu seiner rechten Hand, zu seinem Liebling, zu seinem Stellvertreter. – Punkt eins in Gottes Plan hatte diese Vereinbarung zum Inhalt.
    Darum heißt es: Am ersten Tag schuf Gott das Licht.
    Helel ben Schachar – was für ein schöner Name! Als ich ihn zum ersten Mal las, habe ich ihn den ganzen Tag halblaut vor mich hin gesprochen. Es hat sich allerdings eingebürgert, ihn bei seinem lateinischen Namen zu nennen. Licht heißt lux, tragen heißt ferre: Es ist Luzifer.
    Am zweiten Tag trennte Gott die Wasser voneinander, trennte das obere vom unteren und hob die Erde aus dem Meer.
    Am dritten Tag machte er etwas, was jeder Architekt, jeder Städteplaner macht, nämlich ein Modell. Er stellte sich auf die Erde und zirkelte ein Gebiet ab, so groß, wie sein Blick reichte. Hier sollte im Kleinen ein Prototyp der Schöpfung entstehen: der Garten Eden. Das Ideal. Das Paradies.
    Er wollte ein Ideal schaffen. Gegen die Vereinbarung mit Beth, dem zweiten Buchstaben, wollte Gott ein Ideal schaffen.
    Beth hatte ihn gewarnt: »Nicht das Ideal, sondern das Unfertige, das, was ewig im Entstehen begriffen ist, das sollst du machen.«
    Wenigstens ausprobieren wollte Gott das Ideal, wenigstens ausprobieren! Etwas Schöneres als Eden hat es nie gegeben und wird es nie mehr geben! Eden war dunkel, und was dunkel ist, kann schön sein, seine Schönheit nützt niemandem. Darum bat Gott den Luzifer, er möge dem Paradies Licht geben.
    Luzifer betrat den Garten, prächtig war der Liebling anzuschauen, geschmückt war er mit Diamanten und Jasminen, mit Saphiren und Kristallen, und er gab dem Garten Eden sein wunderbares Licht. Luzifer stand in der Mitte des Gartens, dort, wo Gott gestanden hatte, als er den Garten schuf. Er stellte sich in die Fußstapfen Gottes und verströmte sein Licht. Und da sah er, daß die Fußstapfen Gottes nur um ein Geringes größer waren als seine Füße.
    Da dachte sich Luzifer: »Ein schöner Garten. Ja. Nie hat es etwas Schöneres gegeben. Nie wird es etwas Schöneres geben. Ja. Aber! Ohne mich ist diese Schönheit wie nichts. Ich, ich allein gebe diesem Garten seine wahre Schönheit!«
    Und er betrachtete wieder die Fußabdrücke Gottes.
    Und er dachte: »Nur um ein Winziges sind seine Füße größer als die meinen. Man wird es nicht merken.«
    Und Luzifer beschloß, sich gegen Gott zu erheben.
    Er rief hinaus in die weite, neue Welt: »Ich werde mich auf Gottes Thron setzen! Ich werde herrschen!«
    Luzifer dachte wohl, einige dieser anderen Wesen, die nach dem Krieg im Chaos herumgeirrt waren, die Gott hinter sich geschart hatte, würden von Gott abfallen und sich auf seine Seite stellen. Und vielleicht wäre das ja auch geschehen, und alles, was ist bis zum heutigen Tag, würde unter der Herrschaft Luzifers stehen, wenn da nicht eines dieser Wesen auf der Stelle widersprochen hätte, ein Engel mit einem Flammenschwert in der Hand.
    Der schrie Luzifer an: »Wer ist wie Gott?«
    Und damit hat er sich seinen Namen gegeben. Denn Wer-ist-wie-Gott heißt Michael. Es war der Erzengel Michael.
    Und Gott schmetterte seinen Blitz auf Luzifer, und Luzifer stürzte nieder. Und sein Sturz eröffnete die Hölle, und dahinein stürzte Luzifer. Dort lag er verwirrt, voller Haß und Zorn und
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