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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel
Autoren: Michael Köhlmeier
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auch voller Trauer, und dort liegt er bis zum heutigen Tag.
    Im Sturz riß er ein Stück des lebendigen Himmels mit sich. Nur mühsam wuchs diese Wunde des Himmels wieder zusammen. Durch diese Narbe schimmert die Herrlichkeit Gottes. Noch heute können wir diese Narbe am klaren Nachthimmel sehen: Das ist die Milchstraße.
    Und dieses Stück Himmel in seiner Hand ermöglichte dem Luzifer in Zukunft, wann immer er wollte, in den Himmel zu steigen. Ohne dieses Stück Himmel in Luzifers Hand hätte Goethe sein wichtigstes Bühnenstück anders konzipieren müssen, jedenfalls ohne den Prolog im Himmel.
    Am vierten Tag, so lesen wir in der Bibel, schuf Gott die Sonne. Das Licht war mit Luzifer gefallen. Aber die Welt sollte gesehen werden. Deshalb schuf Gott die Sonne. Ein neues Licht für seine Schöpfung.
    Dann schuf er die Pflanzen und die Tiere.
    Da juckte die Haut auf seinem Unterarm, und es meldete sich der Buchstabe Beth.
    Beth sagte: »Siehst du, wo du im Garten Eden gestanden bist, dort wächst ein Baum. Dieser Baum wächst aus deinen und aus Luzifers Fußspuren. Dieser Baum soll dich immer daran erinnern, daß du mir versprochen hast, deine Welt nach meinem Prinzip zu erschaffen, nämlich nach dem Prinzip der Vereinigung der Gegensätze. Es gibt das Ideal nicht. Dieser Baum inmitten des Paradieses wird Früchte tragen, und die Früchte werden das Gute und das Böse enthalten. Und wer davon ißt, der wird das Gute und das Böse erkennen.«
    Am Morgen des sechsten Tages besah sich Gott sein Werk und sagte sich: »Ich habe die Erde neu geordnet. Ich habe den Himmel neu geordnet. Ich habe die irrlichternden Wesen unter meiner Krone vereint, habe Engel und Erzengel aus ihnen gemacht, und nur einer ist von mir abgefallen. Und ich habe das Gute und das Böse voneinander getrennt.«
    Und dann mußte er sich eingestehen: »Ich habe ja nichts Neues erschaffen. Ich habe das Alte geordnet und geheilt. Mehr nicht.«
    Und er entschloß sich zu einer eigenen Schöpfung:
    Er schuf den Menschen. Am Abend des sechsten Tages schuf er den Menschen.
    Der Mensch war Gottes originäres Werk. Zu ihm wird er sagen: »Mach dir die Erde Untertan!«
    Denn Gott wollte, daß sein Geschöpf über alle anderen Geschöpfe herrsche.

ADAM UND EVA
    Vom ersten Adam – Von Samael und seinem Sturz – Von den Namen der Tiere – Von Adams Sehnsucht nach einer Frau – Von Lilith – Von der ersten Eva – Von der endgültigen Eva – Vom Spaziergang durch das Paradies – Von der Schlange und ihrem Gespräch mit Eva – Vom Baum der Erkenntnis und der Vertreibung aus dem Paradies
     
    Gott nahm Erde von allen Teilen des Landes. Er legte sie auf einen Haufen, knetete den Haufen, spuckte darauf, durchmischte ihn und formte daraus den Menschen. Und Gott nannte den Menschen Adam. Nach dem Namen der Erde: Adama.
    Er machte den Adam riesengroß, und Adam lag ausgestreckt auf der Erde, und er reichte von einem Ende zum anderen, von Norden nach Süden, und seine Arme zeigten von Osten nach Westen.
    Aber Adam lebte nicht.
    Da erinnerte sich Gott an den Kampf zwischen der Urmutter Tiamat und Marduk, dem Inbegriff des Krieges. Marduk hatte Tiamat getötet, indem er seinen Atem in ihre Nase blies.
    Und Gott hielt Zwiesprache mit dem Buchstaben Beth auf seinem Unterarm, und er sagte: »Ist es wahr, daß Leben und Tod Gegensätze sind?«
    »Es ist wahr«, sagte Beth.
    »Ist es wahr, daß es keinen größeren Gegensatz gibt als den zwischen Leben und Tod?«
    »Es ist wahr.«
    »Und dennoch läßt sich nach deinem Prinzip auch dieser Gegensatz vereinen?«
    »Das ist wahr«, sagte Beth.
    »Also kann man«, sagte Gott, »auf die gleiche Weise, wie man Leben nimmt, auch Leben geben.«
    Und er blies dem Adam in die Nase und hauchte ihm auf diese Weise Leben ein.
    Und das war die Seele des Adam. Und weil Gott voraussah, daß es Tage geben wird, an denen Adam an seiner Seele verzweifelt und sich die Seele aus dem Leib reißen möchte, verankerte er die Seele tief im Menschenleib.
    Dann richtete er den Adam auf, er war riesengroß, seine Schultern reichten bis zu den Wolken. Und Gott sah seinem Wesen ins Gesicht. So lange sah er seinem Wesen ins Gesicht, bis sich seine Gesichtszüge auf Adam übertrugen. So hat Gott den Adam nach seinem Ebenbild erschaffen.
    Wenn wir in den Spiegel schauen: Sieht so Gott aus? Nicht ganz, nicht ganz …
    Es gibt eine alte Überlegung, die relativiert unsere Ebenbildlichkeit mit Gott. Rahel, die Frau des Jakob, heißt es da, soll die
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