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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens
Autoren: Heinrich August Winkler
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Meerengen am Bosporus an das Zarenreich fallen.
    Über die Aufteilung des Osmanischen Reiches waren sich Großbritannien und Frankreich im Grundsatz einig. Im Mai 1916 steckten sie im Sykes-Picot-Abkommen ihre Interessensphären ab: Aus den arabisch besiedelten Reichsteilen sollte ein «unabhängiger» Staat oder eine Konföderation von Staaten unter einem arabischen Oberhaupt, aber unter britisch-französischer Kontrolle gebildet werden, wobei die Vorherrschaft im Libanon, in Syrien und im Gebiet um Mosul Frankreich, im übrigen Mesopotamien und in Ägypten Großbritannien zufiel. Für Palästina war eine internationale Verwaltung vorgesehen. Das wichtigste Dokument zur Zukunft Palästinas war jedoch die nach dem britischen Außenminister benannte «Balfour Declaration» vom 2. November 1917: Sie unterstützte, ganz im Sinne der Bestrebungen der Zionisten, die Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina, wobei die Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften nicht beeinträchtigt werden sollten. An der taktischen Hinterabsicht der britischen Regierung gab es nichts zu deuteln: Sie erhoffte sich von den amerikanischen Juden Unterstützung für ihr Werben um einen Kriegseintritt der USA.
    Im Hinblick auf Europa beschränkte sich das Foreign Office im Herbst 1916 in einer Denkschrift auf die Forderung nach derWiederherstellung Belgiens und die Erfüllung der französischen Wünsche in bezug auf Elsaß-Lothringen. Ansonsten sollten das Nationalitätsprinzip beachtet, ganz Polen mit Rußland in Personalunion verbunden und Deutsch-Österreich, als Ausgleich der Gebietsverluste des Reiches, mit Deutschland vereinigt werden: das letztere eine Vorstellung, die den französischen Interessen strikt zuwiderlief. Die Denkschrift folgte damit jedoch nur der alten Maxime der «balance of power»: Ein siegreiches Frankreich durfte nicht zu stark, ein geschlagenes Deutschland nicht zu schwach sein. Im übrigen stimmten Großbritannien und Frankreich darin überein, daß der preußische Militarismus beseitigt und die deutsche Wirtschaftskraft gezügelt werden mußte.[ 2 ]
    Die ideologische Kriegführung stand auf deutscher Seite im Zeichen der «Ideen von 1914». Der Begriff wurde 1915 von dem Münsteraner Nationalökonom Johann Plenge geprägt; für die Verbreitung des Schlagworts sorgte vor allem der schwedische Staatsrechtler und Geopolitiker Rudolf Kjellén, der sich als Anwalt der deutschen Sache in Deutschland großer Beliebtheit erfreute. Die «Ideen von 1914» waren eine Absage an Liberalismus und Individualismus, an Demokratie und allgemeine Menschenrechte, kurz die Werte des Westens. Deutsche Werte waren dagegen Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit, die allesamt nur ein starker, im Dienst der «Volksgemeinschaft» handelnder Staat gewährleisten konnte. «Seit 1789 hat es in der Welt keine solche Revolution gegeben wie die deutsche Revolution von 1914», schrieb Plenge. «Die Revolution des Aufbaus und des Zusammenschlusses aller staatlichen Kräfte im 20. Jahrhundert gegenüber der zerstörenden Befreiung im 19. Jahrhundert … Unter der Not des Krieges schlug die sozialistische Idee in das deutsche Wirtschaftsleben ein, seine Organisation wuchs in einem neuen Geist zusammen, und so gebar die Selbstbehauptung unserer Nation für die Menschheit die neue Idee der deutschen Organisation, der Volksgenossenschaft des nationalen Sozialismus.»
    Als eigentlicher Widerpart des «sozialistischen» Deutschland wurde das «kapitalistische» England wahrgenommen. «Sozialistisch» war Deutschland seit den Sozialversicherungsgesetzen Bismarcks, während England angeblich noch immer dem «laisser faire» des Manchesterliberalismus huldigte. Daß Großbritannien immer mehr in den Vordergrund der ideologischen Kriegführung rückte, hatte zwei Gründe. Zum einen war die Weltmacht Großbritannien, anders alsFrankreich, gerade nicht der historische «Erbfeind», sondern das ebenso bewunderte wie beneidete Vorbild, was eine Art Haßliebe hervorrief und eine Dramatisierung des deutsch-britischen Gegensatzes, bis hin zur populären Grußformel «Gott strafe England!», notwendig erscheinen ließ. Zum anderen hatte Rußland nach den deutschen Siegen von 1914/15 als gefährlichster Kriegsgegner «ausgedient», während nichts für einen raschen Sieg über England sprach.
    Der katholische Philosoph Max Scheler war einer der ersten, die die Behauptung aufstellten, der Krieg sei «zuerst und zuletzt ein
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