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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens
Autoren: Heinrich August Winkler
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deutsch-englischer Krieg». Der Nationalökonom Werner Sombart stellte 1915 in seinem Buch «Händler und Helden» den englischen «Kommerzialismus» dem deutschen «Militarismus» gegenüber, wobei er den Militarismus als den zum «kriegerischen Geist hinaufgesteigerten heldischen Geist», als «Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung» beschrieb. «Er ist ‹Faust› und ‹Zarathustra› und Beethoven-Partitur in den Schützengräben. Denn auch die Eroica und die Egmont-Ouvertüre sind doch wohl echtester Militarismus.»
    Die wohl anspruchsvollste Darlegung der «Ideen von 1914» erschien im letzten Kriegsjahr: Thomas Manns «Betrachtungen eines Unpolitischen». Darin deutete der Autor der «Buddenbrooks» den Krieg als Kampf zwischen deutscher Kultur und westlicher Zivilisation. Mann verteidigte den deutschen Obrigkeitsstaat, weil er das tiefste und innerste Wesen Deutschlands, wie es sich in Musik, Dichtung und Philosophie ausdrücke, von der Politik abschirme. Der Krieg war also wesentlich ein Krieg zur Abwehr der «trois pays libres» des Westens, also Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, und ihrer Demokratie. «Die Politisierung des deutschen Kunstbegriffs selbst würde ja seine Demokratisierung bedeuten, ein wichtiges Merkmal der demokratischen Einebnung und Angleichung Deutschlands.»
    Britische und französische Intellektuelle brauchten sich nicht einzureden, daß ihr politisches System dem deutschen überlegen war, sie
wußten
es. Auf der anderen Seite hinderte sie schon das Bündnis mit dem Zarenreich daran, den Krieg als einen Kampf um die Durchsetzung der Demokratie darzustellen. Im Fall Großbritanniens kam noch ein weiteres Hindernis hinzu: Es gab noch nicht das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht zum Unterhaus, während in Deutschland dieses Wahlrecht auf Reichsebene seit 1871 galt. In der ideologischen Auseinandersetzung mit Deutschland rückte infolgedessen das in den Vordergrund,was aus der Sicht westlicher Intellektueller spezifisch deutsch war: der preußische Militarismus, den man als zutiefst reaktionär empfand. Als seine geistigen Repräsentanten wurden in England immer wieder der Militärschriftsteller Friedrich von Bernhardi, der Autor des 1912 erschienenen Buches «Deutschland und der nächste Krieg», der Historiker Heinrich von Treitschke, der Urheber des in Deutschland gern zitierten Wortes vom Krieg als dem «examen rigorosum der Völker», und, mit fragwürdigem Recht, auch Friedrich Nietzsche genannt, der alles andere als ein deutscher Nationalist war. Häufig tauchte nach 1914 auch die alte Denkfigur von den zwei Deutschland auf: dem idealistischen Land der Dichter und Denker und dem machtgierigen Soldatenstaat der Hohenzollern, der seit 1871 Deutschland beherrsche.
    Mit am prägnantesten arbeitete der Londoner Philosoph und Soziologe Leonard Trelawny Hobhouse 1915 in seinem Buch «The World in Conflict», das aus einer Artikelserie für den liberalen «Manchester Guardian» entstanden war, die geistige Sonderentwicklung Deutschlands, seine Abweichung von der Hauptrichtung des westlichen Denkens, heraus. Deutschland habe eine eigene, auf sich selbst bezogene Kultur hervorgebracht, die sich auf eine bestimmte Idee vom Staat, seinen Ansprüchen an das Individuum und seinen Rechten gegenüber dem Rest der Welt stütze – eine Staatsidee, wie sie die westliche Zivilisation verabscheue. «Die ganze Bewegung der Reaktion, wie wir sie bereits bei Hegel ausgedrückt finden, zielt darauf ab, das alte Ideal wieder in Kraft zu setzen. Der Staat ist der Herr des Menschen (The State is the master of the man), und er kennt keine Gesetze von Gott und Menschlichkeit, die ihn im Umfang mit anderen binden könnten.»
    In Frankreich wurde, womöglich noch stärker als in England, seit den deutschen Greueln in Belgien und, kurz darauf, der Zerstörung der Kathedrale von Reims das Klischee von den deutschen «Barbaren» wiederbelebt. Der Philosoph Henri Bergson, der Begründer der Lehre vom «élan vital», benutzte im August 1914 als einer der ersten diesen Begriff. Der Historiker und Publizist Ernest Lavisse brachte 1915 zusammen mit dem Germanisten Charles Andler einen Band unter dem Titel «Pratique et doctrine allemandes de la Guerre» heraus, in dem er in Auseinandersetzung mit Kriegsvorträgen des Leipziger Historikers Karl Lamprecht schrieb, der deutsche Militarismus sei «ein fürchterlichesBündel von materiellen Interessen, Goldgier, natürlicher und
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