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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens
Autoren: Heinrich August Winkler
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Verteilung der Kolonien und der ‹Einflußsphären› des Finanzkapitals andererseits zu beseitigen», gab es auf dem Boden des Kapitalismus kein anderes Mittel als den Krieg:
Das
war nach Lenin die wirkliche Ursache der großen internationalen Auseinandersetzung, die im August 1914 begonnen hatte.
    Theoretisch beruhte Lenins Schrift «Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus» weitgehend auf den Analysen bürgerlicher und sozialistischer Autoren von John Atkinson Hobson bis Rudolf Hilferding, von denen er auch manche Fehleinschätzungen, namentlich im Hinblick auf den wirtschaftlichen Ertrag der Ausbeutung der Kolonien, übernahm. Aber Lenin kam es vor allem auf die revolutionäre Praxis an, die er mit Hilfe seiner Imperialismustheorie rechtfertigen wollte. Das Ziel der revolutionären Strategie hatte er bereits im November 1914 in seinem Artikel «Der Krieg und die russische Sozialdemokratie» festgelegt, als er die «Umwandlung des gegenwärtigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg» die «einzig richtige proletarische Lösung» nannte. Den Führern der sozialistischenParteien, die ihre Regierungen unterstützten, warf er «direkten Verrat an der Sache des Sozialismus» vor; sie hätten in einem Moment von höchster weltgeschichtlicher Bedeutung versucht, den Sozialismus durch Nationalismus zu ersetzen. Am schärfsten geißelte Lenin die deutsche Sozialdemokratie, und das schon deshalb, weil sie die stärkste und einflußreichste Partei der Zweiten Internationale sei. Er machte sich ausdrücklich eine Erklärung der italienischen Sozialisten zu eigen: «Die Führer der deutschen Sozialdemokraten entehren das Banner der proletarischen Internationale.»
    Die SPD hatte den Kriegskrediten am 4. August zugestimmt, weil der Krieg mit Rußland inzwischen eine Tatsache war und ihr alles daran lag, einen Sieg des Zarenreiches, der reaktionärsten aller Großmächte, zu verhindern. Das Ja bedeutete nicht, daß die Sozialdemokraten Deutschland und Österreich-Ungarn von jeder Kriegsschuld freisprachen; das Wiener Ultimatum an Serbien vom 25. Juli hatten sie noch als frivole Kriegsprovokation angeprangert. Spätestens seit der russischen Generalmobilmachung am 20. Juli aber hielten die Führungen der SPD und der Freien Gewerkschaften die zarische Regierung für den eigentlichen Aggressor. Ein Nein zu den Kriegskrediten hätte bedeutet, das Risiko eines russischen Vormarsches auf Berlin, verbunden mit schärfster staatlicher Unterdrückung der Arbeiterbewegung, einzugehen. Der Krieg hätte in einen Bürgerkrieg umschlagen können: eine Aussicht, die die SPD mit Angst und Schrecken erfüllte.
    Doch bereits im Spätjahr 1914 begann der Rückhalt für die Politik des «Burgfriedens» zu bröckeln. Als erster sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter stimmte am 2. Dezember der Berliner Rechtsanwalt Karl Liebknecht, ein Sohn des Parteigründers Wilhelm Liebknecht, gegen neue Kriegskredite. Am 21. Dezember 1915 taten weitere 19 sozialdemokratische Parlamentarier, unter ihnen der Ko-Vorsitzende der Partei, Hugo Haase, denselben Schritt. Liebknecht wurde im Januar 1916 aus der Fraktion ausgeschlossen. Nach einem abermaligen «Disziplinbruch», den die Mehrheit mit dem Ausschluß der Abweichler aus der Fraktion beantwortete, vereinigten sich 18 oppositionelle Abgeordnete im März 1916 zur «Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft». Die meisten ihrer Mitglieder entstammten der alten Vorkriegslinken. Der Widerstand gegen die offizielle These vom deutschen «Verteidigungskrieg» ging aber über den linken Flügel hinaus: Auch der «Zentrist» Karl Kautsky, der kein Reichstagsmandatinnehatte, und der Revisionist Eduard Bernstein opponierten gegen die Mehrheitslinie.
    Die Linke war ihrerseits alles andere als ein in sich geschlossenes Gebilde. Hugo Haase, der nach dem Tod August Bebels 1913 zusammen mit Friedrich Ebert zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden war, gehörte ebenso wie Rudolf Hilferding zu den Gemäßigten, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, die Vorkämpferin der sozialistischen Frauenbewegung, zu den Radikalen. Seit dem Frühjahr 1915 verfügte die äußerste Linke über eine eigene Organisation, die «Gruppe der Internationale», die sich im Lauf des Jahres 1916 in «Spartakusgruppe» umbenannte.
    Die Radikalisierung der deutschen Linken stand in enger Verbindung mit Entwicklungen auf dem linken Flügel der Zweiten Internationale. Im September 1915 trafen sich in
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