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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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jeder Einzelstrang als Vorlage (Matrize) für die Anfertigung einer neuen Doppelhelix dient. Auf diese Weise gehen aus einem Gen zwei hervor - im Prinzip wenigstens. Doch wie so oft steckt der liebe Gott - oder der Teufel - im Detail, und davon gibt es bei der Replikation von DNA genug. Nachdem zunächst in einem sehr eleganten Versuch von Franklin Stahl und Matthew Meselson im Jahre 1958 gezeigt werden konnte, dass die Synthese von DNA tatsächlich dadurch funktioniert, dass zwei (alte) Einzelstränge in zwei (halbneue) Doppelstränge verwandelt werden, blieb noch lange unklar, wie zum Beispiel die hermetisch verriegelte Doppelhelix geöffnet wird und wie die Verdrillung des Fadens berücksichtigt und entspannt wird. Bei der Erforschung sind viele unerwartete Einzelheiten zutage getreten, etwa dass auf den ersten Stücken der zu replizierenden DNA keine DNA-, sondern RNA-Bausteine aufgesetzt werden. Sie heißen nach ihrem Entdecker Okazaki-Fragmente und werden später wieder entfernt werden und DNA-Bausteinen weichen. Außerdem hat die Zelle ein umfangreiches Arsenal an Instrumenten (Proteinen) entwickelt, um die sich doch unentwegt und rasch vollziehende Replikation auf Fehler hin zu untersuchen. Molekulare Korrekturleser sind permanent im Einsatz, um Kopierfehler zu finden und zu beheben. Die Gene einer Zelle beziehungsweise ihre DNA befinden sich höchst selten im Zustand der Ruhe, wie es das Bild der Doppelhelix suggeriert, mit dem Watson und Crick die Welt verblüfft haben. Sie werden vielmehr unentwegt vermehrt, verlesen, stabilisiert und ausgebessert.
DOGMA DER MOLEKULARBIOLOGIE
    Das Dogma der Molekularbiologie ist denkbar einfach. Es besagt, dass die Information in einer Zelle von der DNA zur RNA und von dort zu einem Protein fließt, aus dem sie nicht mehr herauskommen kann. Diese Ansicht der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts weichte der Vater des Dogmas, Francis Crick, selbst im Verlauf der sechziger Jahre auf, als er weitere Wege der Information hinzufügte, etwa den von der DNA zu sich selbst, wie es bei der Replikation der Fall ist, oder den von der RNA zu sich selbst. Crick konnte sich auch vorstellen, dass die DNA-Sequenzen direkt auf ein Protein Einfluss nahmen, und er rechnete sogar mit der Möglichkeit, den Weg von der DNA zur RNA auch umgekehrt zu gehen, was dann in den siebziger Jahren tatsächlich nachgewiesen werden konnte. Doch trotz dieser Erweiterung oder Erweichung des Dogmas hält sich unter den Molekularbiologen die Rede von den Einheiten Gen (DNA), RNA und Protein, obwohl die modernen Techniken der Genetik den Zugriff zu drei anderen und umfassenderen Einheiten eröffnen: i) zum Genom mit seinen Sequenzen, 2) zu dem kompletten Spektrum an transkribierten RNA-Molekülen, für das manchmal - in Analogie zum Genom -der Ausdruck Transkriptom benutzt wird, und 3) zu dem Gesamtbestand an Proteinen in einer Zelle, der inzwischen als Proteom Karriere macht. Das moderne Dogma der Molekularbiologie müsste versuchen, den alten Dreischritt DNA-RNA-Protein in den neuen Dreischritt Genom-Transkriptom-Proteom zu erweitern, bei dem sich dann vielleicht die Wege für das Verteilen der biologischen Information zeigen, die immer noch fehlen, um dahin zu kommen, wo die Biologie eigentlich hin möchte - nämlich zum Erscheinungsbild eines Organismus.
INTERDISZIPLINARITÄT
    Es ist wichtig zu betonen, dass die moderne Genetik von Anfang an als eine interdisziplinäre Wissenschaft begründet worden ist und gar nicht anders betrieben werden kann. Der erste entscheidende Schritt in die Molekularbiologie gelingt, als sich ein Physiker, Max Delbrück, und ein klassischer Genetiker, Nicolai Timoféef-Ressovsky, zusammentun, um die Natur der Genmutation zu erkunden. Bakteriengenetik entsteht, als ein Physiker, erneut Delbrück, mit einem Mediziner, Salvatore Luria, nach den Ursachen von Mutationen fragt. Und besonders deutlich lässt sich die Bedeutung der Interdisziplinarität am Beispiel der Entdeckung der Doppelhelix zeigen, die eben nicht denjenigen gelungen ist, die sich streng an die Grenzen ihrer Disziplinen gehalten haben, sondern denjenigen, die mutig genug waren, sich von Anfang an darüber hinweg zu setzen, auch wenn dies zunächst viel Ärger mit sich gebracht hat. Wer die Struktur der DNA erkunden will, muss natürlich etwas von Genetik verstehen; er muss die Bakterien als Quelle der DNA kennen und also etwas von Bakteriologie verstehen; er muss Kristalle züchten können, und also etwas von
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