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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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Festkörperphysik verstehen; er muss Röntgenstrukturanalysen durchführen, und also etwas von Kristallographie verstehen; er muss die Bindung zwischen Basen beschreiben können, und also etwas von physikalischer Chemie verstehen, und so weiter und so fort. Das Problem steckt dabei in der Vielzahl der Disziplinen, die niemand komplett lernen und umfassend beherrschen kann, bevor er sich an die Arbeit macht. Natürlich muss man eine Wissenschaft -etwa die Biochemie - gründlich studieren, aber man muss versuchen, von Kollegen zu erfahren, was aus ihrer Sicht für eine Fragestellung wichtig ist. Zuviel Fachwissen kann den Blick für die Lösung versperren, wie der Volksmund weiß, der Menschen kennt, die vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Die Geschichte der Genetik ist ein Triumph der Interdisziplinarität, was sich auch so ausdrücken lässt, dass die Molekularbiologie eine kooperative und sozial organisierte Wissenschaft ist, die nicht durch große Einzelpersönlichkeiten, sondern erst in Gruppen - etwa Morgans Fliegenschule - und Paaren -wie Watson und Crick - und dann in immer größeren Teams operierte und funktionierte. Diese Teams können sich industriell oder akademisch formieren - mit dem Konsortium als derzeitigem Höhepunkt, dem wir die im Februar 2001 publizierte Sequenz des menschlichen Genoms verdanken.
IRRTÜMER
    In einem Buch über das Gen oder die Gene sollte auf einige Irrtümer hingewiesen werden, die über Gene verbreitet sind. Da ist zum Ersten die Überzeugung, dass Gene sich selbst verdoppeln. Gene allein tun nichts. Sie liegen als molekulare Gebilde eher hilflos in den Zellen herum, und sie benötigen Hilfe für alles. Die Replikation von DNA - also die Verdopplung eines Gens - gelingt nur mit Hilfe von Proteinen (und RNA-Molekülen), sodass es richtig heißen muss, dass Proteine Gene verdoppeln.
    Der zweite populäre Irrtum besagt, dass Gene Proteine machen (nach der alten Ein-Gen-ein-Protein-Hypothese). Wenn überhaupt, dann lässt sich sagen, Gene spezifizieren Proteine. Was das Machen angeht, so braucht es dazu erneut Proteine (und mehr), und eigent-lich müsste man sagen, dass Proteine (mit Hilfe einiger anderer Moleküle, die nicht DNA sind) Proteine machen.
    Der dritte gängige Irrtum über Gene besagt, dass sie Eigenschaften hervorbringen. Schon Johannsen sprach von Genen für Bohnenfarbe oder Genen für Stengellänge. Da war Mendel schon weiter, demzufolge sich nur sagen lässt, dass die (vererbbaren) Unterschiede zwischen zwei Organismen auf Unterschiede bei den Genen zurückgeführt werden können. Aus dem Vorhandensein eines Gen folgt noch wenig, erst aus dem Vorhandensein eines Unterschieds zwischen Genen folgt mehr. Es lebe der Unterschied.
    Wie sehr der Gedanke von den ›Charaktergenen‹ heute in den Menschen festsitzt und dabei das Denken beeinflusst, hat Werner Bartens an vielen Beispielen in seinem Buch Die Tyrannei der Gene vorgestellt, von denen zwei hier aufgeführt werden sollen. Er berichtet etwa von Fußballreportern, die den Spielern wenig erfolgreicher Mannschaften bescheinigen, ohne ein »Killergen« anzutreten, das entscheidend beim Torschuss helfen soll. Oder er erzählt, dass Joe Cocker seine unstete Lebensweise durch ein Gen erklärt, »das auf Selbstzerstörung programmiert ist und in regelmäßigen Abständen die Übermacht gewinnt«.
    Der Biologe David Jackson hat 1995 davor gewarnt, den Einfluss der Unterhaltungsindustrie auf das öffentliche Verständnis der Genetik auf die leichte Schulter zu nehmen: »Schließlich sind es nicht wissenschaftliche Tagungen, von denen die meisten Leute etwas über Molekularbiologie und Gentechnik lernen, sondern Filme und Bü-cher wie Jurassic Park, Boys from Brazil etc.«
    Doch nicht nur auf diese Weise kann in der Öffentlichkeit ein völlig falsches Verständnis für Gene entstehen. Dies geht auch durch die Experten selbst, die stark in ihren Ansichten schwanken können und sich gerne dem Zeitgeist unterwerfen. Als Beispiel sei auf die Frage verwiesen, was für den Schulerfolg (Intelligenz) eines Kindes verantwortlich ist. Heute bekommt man nahezu ausschließlich etwas von Genen als Antwort zu hören, während in den politisch bewegteren sechziger Jahren jeder Hinweis auf die Natur des Menschen als diskriminierend angesehen wurde und alle Schuld für ein Versagen in der Umwelt gesucht wurde, die damals noch Milieu hieß.
    Wie wenig sich die Genetik bis heute aus der sprachlichen Falle befreit hat und nach wie vor
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