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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Autoren: Rudolf Nährig
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dunkelrote Blut quillt an den Augen vorbei, sucht sich einen Weg über den Nasenflügel hin zur Nasolabialfalte, wo es stockt und zu verdorren beginnt.
    Neun, zehn, ab. Knock-out. Roswitha macht fahrige Bewegungen, verzweifelter Blick, unglücklich. Alles aus – vorbei.
    Die After-Show-Party fällt aus. Schade: heute keine Party für mich! Was mache ich nun mit dem Rest meines dienstfreien Abends?

Proviant für Slava – Eine Posse
    Um zehn Uhr vormittags geht der Bus nach Belgrad. Slava kehrt nach einigen Jahren in Deutschland wieder zurück in ihre serbische Heimat. Ihre Familie wohnt noch immer in dem kleinen Dorf Brnjica. Der Vater alt und krank. Die Mutter siebzig und noch rüstig. Slava hat alles Geld, das sie als Zimmermädchen im Hotel Vier Jahreszeiten verdient hat, postwendend nach Hause geschickt. Jetzt ist sie dreißig vorbei und möchte in ihrem Heimatdorf eine Familie gründen. Der serbische Bräutigam wartet schon. Er wollte nicht von der Heimat weg, auch nicht während des Krieges, als kleiner Junge von etwa zehn Jahren.
    Am letzten Abend in Hamburg hat sie noch Dienst bis Mitternacht, dann kurz nach Hause, um ein paar Stunden zu schlafen. Es ist alles gepackt. Die meisten Kartons hat sie einen nach dem anderen schon in die Heimat geschickt. Am frühen Abend haben wir uns noch in der Kantine getroffen. Wir kennen einander gut, weil ich sie immer in ihrer Muttersprache gefragt habe: »Kako si?« – Wie geht es dir? Solch vertraute Laute verbinden. Morgen also der Bus nach Belgrad – die billigste Reisemöglichkeit. Und sie hat ganz vergessen, für die 36 Stunden Fahrt etwas zu essen zu kaufen. Als kleinen Abschiedsgruß habe ich mich erboten, um zehn mit einer Tüte Proviant an der Haltestelle zu sein. »Oh«, sagt sie, »wie schön, dann muss ich nichts an den Zwischenstopps kaufen, wo das Essen sehr teuer ist.«
    Ich habe am Abreisetag frei. Ein klarer Oktobertag im Jahre 2006. Um neun macht der Supermarkt auf, wo ich Wurstsemmeln und alles weitere kaufen kann. Dachte ich jedenfalls. Als ich das Haus verlasse, ist es viertel nach neun, ich muss mich beeilen, um rechtzeitig am Bus zu sein. Ich habe es versprochen. Ehrensache. Slava soll nicht Hunger leiden oder überteuerte Preise zahlen müssen.
    An der Wursttheke treffe ich die Verkäuferin, die mich vom Sehen – na ja, eher vom Wegsehen – kennt. Ich bin der einzige Kunde. »Was möchten Sie?«, fragt die gedrungene Frau, wobei sie unverwandt auf ihre Würste und Fleischwaren stiert. Sie ist wohl zu spät aufgestanden, zu wenig Zeit für die Morgentoilette. Die fetten dunklen Haare hängen ihr ins pickelübersäte Gesicht. Die blasse, leicht grünlich schimmernde Haut lässt die Pickel noch dunkelroter erscheinen, als habe man über Nacht Blutegel angesetzt. Sie sind über das ganze Gesicht verstreut, von der Stirn über Nase, Wangen, Mund bis zum Schulteransatz. Zwischen Kopf und Nacken bilden einige gestapelte Fettwülste den Hals. Als sie mich schließlich doch eines Blickes würdigt, frage ich bittend: »Können Sie mir vier Wurstsemmeln machen?« Ich habe kaum ausgesprochen, da kommt ein unumstößliches »Nein!«. Da wusste ich, auch eine Erklärung, wofür ich die Wurstsemmeln brauche und welche Dringlichkeit hier gegeben ist, hat keinen Sinn. Nach dem Nein ging sie weg, um sich anderen Arbeiten zu widmen, getreu dem Motto: »Kommt ein Kunde, ist’s gut, kommt keiner, ist’s besser.« Nun nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte, ob sie mir denn zwei Semmeln, die ich im nebenstehenden Brotregal erspähte, in der Mitte einmal durchschneiden könne. Dann, dachte ich, kaufe ich die Wurst eben separat und lege sie selbst zwischen die Semmeln.
    Ich ertappte mich dabei, wie ich mich wehmütig an den zuvorkommenden jungen Hasan im Gemüseladen zurückerinnerte, an die nette Frau Haberlandt in ihrer total überfüllten und zugerammelten Drogerie, an Bah Huing aus Vietnam, bei dem es eine Freude war, eine Zeitung zu kaufen, an Frau Niemann, die bei Geldnöten immer freundlichen Rat hatte, und vor allem an das Delikatessengeschäft von Frau Schröder: einer dieser kleinen Eckläden, die man manchmal etwas abfällig »Tante-Emma-Läden« nennt, wo die Verkäuferin auf jeden Wunsch des Kunden einging, ihn förmlich erriet. Dort hatte ich die Semmeln immer mit Butter beschmiert und mit Wurst, Käse oder Schinken belegt bekommen. Dazu fragte Frau Schröder stets noch, ob sie auch eine Gewürzgurkenscheibe dazwischenlegen solle. Wie schön war
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