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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Autoren: Rudolf Nährig
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aufbauen. Die Kaffeeköchin werkelte schon in der Küche. Für ihre etwa zweiundachtzig Jahre war sie sehr behänd und umsichtig. Wohlige Wärme und angenehmer Kaffeeduft breiteten sich in der großen Küche aus. Das Büfett wurde mit allerlei Brotsorten, dicken britischen Würsten, Spiegel- und Rührei nebst gebratenem Speck sowie dem typischen Yorkshirepudding ausgestattet. Gegen zehn wurde der Morning Tea serviert, um eins gab es Lunch und um vier den Afternoon Tea. Den Cocktail abends um sieben und zum Dinner ging man eine halbe Stunde später.
    Die Amerikaner sind nachmittags um drei eingetroffen. Die vielen Koffer und Gepäckstücke werden auf die jeweiligen Zimmer verteilt. Enge, verwinkelte Treppen sind zu bewältigen. Nach einer Stunde ist alles dort, wo es hingehört. Es sind nur Herren gekommen, also hielt sich die Zahl der Koffer in Grenzen. In der Zwischenzeit wurde in der Halle schon der Tee vorbereitet. Englisches Wedgwood-Steingut mit moosgrünem Landschaftsdekor. Teewasser steht in der Teeküche ganztägig auf dem Herd. Immer heiß, immer aufgussbereit. Zum Tee gibt es trockenes Backwerk. Bis zum Cocktail haben die Gäste etwas Zeit, sich von der Reise auszuruhen oder sich in den Räumlichkeiten des Schlosses umzusehen.
    Der Cocktail wird im Living Room serviert. Die amerikanischen Gentlemen bevorzugen Dry Martini. Wenn möglich auch zwei davon. In der Zwischenzeit wird im Dining Room die Tafel vorbereitet. Der mit Schellack polierte lange Mahagonitisch wird mit Sets aus Presspappe oder Holz gedeckt, auf denen Jagd- und Fischmotive oder schottische Landschaften und Schlösser abgebildet sind. Auf dem Tisch wunderschöne Silbersachen. Sechsarmige Kerzenleuchter, silberne Tafelaufsätze mit Salzgefäßen drin, schweres altes Silberbesteck. Um die Tafel herum stehen Queen-Anne-Stühle mit tief durchgesessener Sitzpolsterung oder Hepplewhite-Stühle mit kunstvoll gestalteten Rückenlehnen.
    Für das Dinner sind drei Gänge vorbereitet. Verschiedene Blattsalate mit Vinaigrette-Dressing, als Hauptgericht schottische Lammkeule und hinterher Vanillecreme mit Krokantsplittern. Die zuständige Köchin kommt um zwei, um alles vorzubereiten. Wie fast alle hier im Schloss ist sie in den Achtzigern. Was erklärt, warum sie Brokkoli und grüne Bohnen kochte, bis sie nicht mehr grün, sondern graufarbig und püreeartig waren. So kannte sie es aus ihrer Mädchenzeit. Ebenso verhielt es sich mit der Zubereitung des Lammbratens. Er wurde üblicherweise gebraten, bis er strohtrocken war und beinahe hölzern schmeckte. Diese Kochsitten habe ich mit viel Gefühl, milden Reden und klarem Sachverstand zu ändern vermocht. Baron Liddell-Grainger bemerkte es sofort und warf mir beim Biss in die al dente gedünsteten grünen Brokkoliröschen einen zufriedenen Blick zu.
    Anstelle von Brot gab es zur Vorspeise gesalzene Biskuits, die ich alsbald durch Baguette ersetzte. Als sich die Lady beim Decken des Tisches mit mir unterhielt, sagte ich, um eine Redepause höflich zu füllen, dass ich diese britischen Biskuits sehr gut fände (was nicht stimmte). Das wäre mir hernach fast zum Verhängnis geworden. Dachte ich jedenfalls.
    Nach dem Dinner wurden im Drawing Room der After-Dinner-Drink und Kaffee serviert. Dieser Raum war, wie der Name fast nahelegen könnte, mit sehr vielen schönen Zeichnungen und Gemälden und außerdem mit bequemen Sitzmöbeln ausgestattet. Ein Ensemble aus drei ineinander verschlungenen Fauteuils, ein sogenannter indiscreet chair , hat mich besonders fasziniert. Die After-Dinner-Sitzungen dauerten manchmal bis nach Mitternacht, so dass ich oft erst nachts um eins in mein Stahlrohrbett kam. Während ich noch wach in meinem Bett lag, konnte ich mir einen Eindruck davon verschaffen, was es mit dem berüchtigten Schlossgeist auf sich hatte. Die alten Fenster mit Holzrahmen hatten sich im Laufe der Jahre verzogen, von verschiedenen Seiten konnte nun der Wind hereinblasen und erzeugte so jene Pfeifgeräusche, die eigentlich die Aufgabe des Schlossgespenstes sein sollten.
    Eine kleine Kuriosität hat mich im Besonderen fasziniert. Die Rufanlage. Wenn ein Gast im Zimmer auf den Serviceknopf drückte, begann sich in einem mit den Zimmernummern versehenen Glaskasten in der Halle ein zweifarbiges, rot-weißes Rad um die jeweilige Nummer des Zimmers zu drehen und gleichzeitig erklang ein Klingelton, der signalisierte, dass man im Glaskasten nachsehen sollte, welches Zimmer da rief. Ist doch viel interessanter als ein
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