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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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Weges hin.
     

Drittes Kapitel
    Etienne war von dem Hügel endlich hinabgestiegen und in den Voreuxschacht getreten. Die Männer, an die er sich mit der Frage wandte, ob es keine Arbeit gebe, schüttelten den Kopf und sagten ihm alle, er solle den Oberaufseher abwarten. Man ließ ihm freie Bewegung inmitten der schlecht beleuchteten Gebäude, die voll finsterer Löcher waren und beängstigend wirkten mit ihrem Wirrsal von Sälen und Stockwerken. Nachdem er eine dunkle, halb zerstörte Treppe emporgestiegen, befand er sich auf einem schwankenden Brückensteg; dann durchschritt er den Schuppen des Sichtungswerkes, der in so tiefer Finsternis lag, daß er mit den Händen vorausgreifen mußte, um nicht anzustoßen. Plötzlich sah er vor sich zwei riesige, gelbe Augen die Nacht durchbrechen. Er befand sich unter dem Glockenstuhl im Aufnahmesaale an der Mündung des Schachtes.
    Ein Aufseher, der Vater Richomme, ein Dicker mit dem Gesichte eines gutmütigen Gendarmen, das ein grauer Schnurrbart zierte, begab sich eben ins Büro des Aufnahmebeamten.
    »Braucht man hier nicht einen Arbeiter für irgendeine Beschäftigung?« fragte Etienne abermals.
    Richomme wollte nein sagen; doch er ward anderen Sinnes und sagte wie die übrigen, während er sich entfernte:
    »Erwarten Sie Herrn Dansaert, den Oberaufseher.«
    Vier Laternen waren hier angebracht und die Reflektoren, die das ganze Licht auf den Schacht warfen, beleuchteten hell die eisernen Geländer, die Hebel der Signale und Verschlüsse, die Pfosten der Seile, an denen die beiden Aufstiegkästen hinabglitten. Der Rest, der einem Kirchenschiffe gleichende geräumige Saal, lag im Dunkel und war mit großen, schwebenden Schatten bevölkert. Bloß die Laternenkammer flammte im Hintergrunde, während das Lämpchen im Büro des Aufnahmebeamten einem erlöschenden Stern glich. Die Kohlenförderung war wiederaufgenommen worden. Es ertönte ein unaufhörliches Dröhnen auf den gußeisernen Platten, die Kohlenhunde rollten unablässig, und man sah die gebeugten Gestalten der an der Winde beschäftigten Männer inmitten des Getümmels all dieser in Bewegung befindlichen dunklen und geräuschvollen Gegenstände.
    Einen Augenblick stand Etienne unbeweglich da, betäubt und geblendet. Er fror, denn es zog von allen Seiten. Dann trat er einige Schritte vorwärts, angezogen durch die Maschine, deren stählerne und kupferne Bestandteile er glänzen sah. Sie stand etwa fünfundzwanzig Meter hinter der Schachtmündung in einem höher gelegenen Saale, so fest auf ihrem Unterbau gelagert, daß sie mit ganzem Dampfe arbeitete, mit ihren vollen vierhundert Pferdekräften, ohne daß die Bewegung ihrer riesigen Treibstange, die, weil gut geölt, leicht und glatt auf und ab stieg, die Mauern im geringsten erschüttert hätte. Der Maschinist, der am Verschlußkolben stand, lauschte dem Geklingel der Signale und wandte kein Auge von der Nachweistafel, auf welcher der Schacht mit seinen verschiedenen Stockwerken durch eine senkrechte Fuge dargestellt war, in der an Schnüren befestigte Bleistücke, die Aufzugskästen darstellend, auf und nieder liefen. Wenn bei jedem Abstieg die Maschine sich in Bewegung setzte, drehten sich die Wellen, die beiden Riesenräder von fünf Meter Durchmesser, auf deren Nahen die Stahlseile sich in entgegengesetzter Richtung auf und ab rollten, mit solcher Schnelligkeit, daß sie einem grauem Staube glichen.
    »Aufgepaßt!« riefen drei Arbeiter, die eine Riesenleiter schleppten.
    Er fehlte nicht viel, und Etienne wäre von der Leiter erschlagen worden. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit; er sah das Getriebe der Seile in der Luft, mehr als dreißig Meter stählerner Bänder, die in einem Schwung im Glockenstuhle emporstiegen, wo sie über Räder gelegt waren, um senkrecht in den Schacht abzufallen, wo sie an den Aufzugskästen befestigt waren. Ein eisernes Gerüst, dem Gebälk eines Glockenturmes gleichend, trug die Räder. Es war wie der Flug eines Vogels ohne Geräusch, ohne Anstoß; der reißend schnelle Lauf, das unaufhörliche Auf und Nieder eines Fadens von ungeheurem Gewichte, der zwölftausend Kilogramm mit einer Geschwindigkeit von zehn Metern in der Sekunde zu heben vermochte.
    »Aufgepaßt!« riefen noch einmal die Arbeiter, welche die Leiter nach der anderen Seite schafften, um das linksseitige Rad zu untersuchen.
    Etienne kehrte langsam in den Aufnahmesaal zurück. Dieser Riesenflug über seinem Haupte verblüffte ihn völlig. In dem
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