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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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glaubte, fielen jetzt von einem Ende der Ebene bis zum anderen. Ein Schlag und noch ein Schlag und immerfort Schläge unter den Feldern, unter den Straßen, unter den Dörfern, die im Sonnenlichte lachten: die ganze finstere Arbeit dieses unterirdischen Gefängnisses, dermaßen erdrückt unter der ungeheuren Masse der Felsen, daß man wissen mußte, daß es da unten sei, um den tiefen, schmerzlichen Seufzer zu vernehmen. Er dachte jetzt, daß die Anwendung von Gewalt die Dinge vielleicht nicht beschleunigen werde. Durchschnittene Kabel, losgerissene Schienen, zerschlagene Lampen: welche unnütze Arbeit! Wahrhaftig, es lohnt die Mühe, daß eine Schar von dreitausend Menschen verheerend durch das Land zieht! Er ahnte, daß die Gesetzlichkeit -- eines Tages erreicht -- viel furchtbarer werden konnte. Sein Verstand reifte; er hatte sich der unreifen Rachegelüste seiner Flegeljahre entledigt. Jawohl, die Maheu mit ihrem gesunden Sinn hatte das Richtige getroffen: Man wird den Hauptstreich führen; man wird sich ruhig zu einem Heere vereinigen, wenn die Gesetze es gestatten; an dem Tage, wenn man sich stark genug fühlt und sieht, daß Millionen von Arbeitern einigen Tausenden von Nichtstuern gegenüber stehen, reißt man die Macht an sich und gebietet. Welches Erwachen der Wahrheit und Gerechtigkeit! Zur selbigen Stunde wird es aus sein mit dem gemästeten ungeheuerlichen Götzen, der in der Tiefe seines Heiligtums verborgen hockt, in jener unbekannten Ferne, wo die Armen und Elenden ihn mit ihrem Fleische nährten.
    Doch Etienne verließ jetzt den nach Vandame führenden Weg und erreichte die Heerstraße. Rechts lag in weiter Ferne Montsou, kaum mehr sichtbar. Vor sich hatte er die Ruinen des Voreux, das verdammte Loch, an dessen Auspumpen drei Maschinen unablässig arbeiteten. Dann folgten am Horizonte die anderen Gruben: die Siegesgrube, Sankt-Thomas, Fentry-Cantel; während im Norden die Türme der Hochöfen und die Batterien der Koksöfen ihren Rauch in die klare Morgenluft entsandten. Wenn er den Acht-Uhr-Zug nicht versäumen wollte, mußte er sich sputen, denn er hatte noch sechs Kilometer zurückzulegen.
    Unter seinen Füßen dauerten die dumpfen Schläge der Spitzhacken unaufhörlich an. Die Kameraden waren sämtlich da; er fühlte, wie sie ihm auf Schritt und Tritt folgten. War das nicht die Maheu unter diesem Rübenfelde, mit gekrümmtem Rücken, mit dem heiseren Schnaufen, begleitet von dem Schnarren des Ventilators? Rechts und links und weiterhin schien er noch andere zu erkennen unter den Getreidefeldern, unter den Hecken, unter den mit jungem Laub bedeckten Bäumen. Die Aprilsonne stand jetzt schon hoch am Himmel, strahlte in ihrem vollen Glanze und erwärmte die fruchtbare Erde. Aus ihren nährenden Lenden sproß das Leben hervor; die platzenden Knospen entfalteten sich zu grünen Blättern; die Felder erzitterten unter dem üppigen Gedeihen der Gräser. Allenthalben füllten sich und wuchsen die Körner und sprengten die Erde in ihrem mächtigen Bedürfnis nach Licht und Wärme. Ein Überströmen der Säfte floß in Flüsterstimmen dahin; das Geräusch der Keime verbreitete sich in einem unermeßlichen Kusse. Die Kameraden hieben noch immer darauf los, immer vernehmlicher, als hätten sie sich dem Erdboden genähert. Mit diesem Geräusche war die Landschaft schwanger, die im Sonnenglanze dieses Frühlingsmorgens dalag. Es erstanden Menschen, eine schwarze Rächerarmee, die langsam in den Furchen keimte, für die Ernten des künftigen Jahrhunderts emporwachsend, deren Keimen alsbald die Erde durchbrechen sollte.
     
    ebook Erstellung - Februar 2010 - TUX
     
    Ende
     
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