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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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verzehrte.
    Wieder versank eine Schale mit ihrer Last, und als eben eine neue Gruppe heranrückte, erblickte er einen Arbeiter, der sein Gehilfe im Streik gewesen, einen Wackern, der geschworen hatte, lieber zu sterben, als sich zu ergeben.
    »Du auch«, murmelte er betrübt.
    Der andere erbleichte; seine Lippen zitterten: dann sagte er mit einer Gebärde der Entschuldigung:
    »Was willst du? Ich habe ein Weib.«
    In der neuen Schar, die aus der Baracke herankam, erkannte er jetzt alle.
    »Du auch! Du auch! Du auch! ...«
    Alle erzitterten und stammelten mit erstickter Stimme:
    »Ich habe eine Mutter, ich habe Kinder, ich muß Brot schaffen.«
    Die Schale blieb jetzt länger unten. Sie warteten in düsterer Stimmung, in einem so tiefen Leid über ihre Niederlage, daß ihre Blicke es vermieden, den seinigen zu begegnen, und starr auf den Schacht gerichtet waren.
    »Was ist mit Frau Maheu?« fragte Etienne.
    Sie antworteten nicht. Einer machte ein Zeichen, daß sie bald komme; andere erhoben mitleidig die Arme und riefen:
    »Ach, die arme Frau, welches Elend!«
    Dann trat wieder Stillschweigen ein; als der Kamerad ihnen die Hand reichte, um ihnen Lebewohl zu sagen, drückten alle kräftig diese Hand und legten in den stummen Händedruck ihre Wut darüber, nachgegeben zu haben, und die fieberhafte Hoffnung auf Rache. Die Schale war wieder da, sie stiegen ein und versanken, von dem Abgrunde verschlungen.
    Jetzt erschien Pierron mit der frei brennenden Lampe der Aufseher, die an seiner Ledermütze befestigt war. Seit acht Tagen war er Gruppenvorsteher, und die Arbeiter traten beiseite, denn die Ehrenbezeigungen machten ihn stolz. Der Anblick Etiennes war ihm mißliebig; er trat jedoch näher und beruhigte sich schließlich, als der junge Mann ihm seine Abreise ankündigte. Sie plauderten eine Weile. Pierron erzählte, sein Weib führe jetzt die Schankwirtschaft »zum Fortschritt«; sie habe es den Herren zu danken, die sich ihr alle freundlich erzeigten. Doch er unterbrach sich hier, um den Vater Mouque auszuschelten, den er beschuldigte, daß er den Pferdedünger nicht zur rechten Zeit heraufgeschafft habe. Der Alte hörte unterwürfig diesen Tadel an; ehe er dann hinabfuhr, drückte auch er Etienne lange und warm die Hand, und auch in seinem Händedruck lag der verhaltene Zorn und die Verheißung künftigen Aufruhrs; diese Greisenhand, die in der seinigen zitterte, dieser alte Mann, der ihm den Tod seiner Kinder verzieh: sie brachte in Etienne eine so tiefe Bewegung hervor, daß er den Alten verschwinden sah, ohne ein Wort hervorbringen zu können.
    »Kommt denn Frau Maheu heute nicht?« fragte er nach einer Weile den Aufseher.
    Anfänglich tat Pierron, als habe er nicht verstanden, denn er meinte, es genüge, vom Unglück zu reden, um davon angesteckt zu werden. Dann sagte er, sich entfernend, als wolle er seinen Leuten einen Auftrag geben:
    »Was? Die Maheu? Da ist sie ja.«
    In der Tat kam eben die Maheu aus der Baracke herunter, mit der Lampe ausgerüstet, bekleidet mit dem Kittel und der Hose der Bergleute, das Haupt in die Lederhaube gehüllt. Gerührt durch das Schicksal dieser unglücklichen, schwergeprüften Frau, hatte die Gesellschaft in außerordentlicher Gnade gestattet, daß sie, obgleich schon vierzig Jahre alt, die Arbeit aufnehmen dürfe. Da es schwierig gewesen wäre, sie bei der Abfuhr zu beschäftigen, verwendete man sie zur Handhabung eines kleinen Ventilators, den man in der Nordgalerie unterhalb des Tartaret, in den sogenannten Höllenregionen aufgestellt hatte, wo eine andere Lüftungsvorrichtung nicht möglich war. In der Tiefe dieses glühenden Schlundes trieb sie bei einer Hitze von vierzig Grad, die ihr die Haut gar sott, zehn Stunden hindurch das Rad dieses Ventilators, daß ihr schließlich die Glieder im Leibe wie gebrochen waren. Mit dieser Arbeit erwarb sie täglich dreißig Sous.
    Als Etienne sie bemerkte, so bejammernswert in ihrer Männerkleidung, Brust und Bauch gleichsam von der Feuchtigkeit der Kohlenschläge aufgedunsen, ward er tief ergriffen und stammelte einige unverständliche Worte, um ihr zu erklären, daß er fortziehe und ihr Lebewohl habe sagen wollen.
    Sie schaute Ihn an, ohne ihn zu hören, und sagte endlich, das Du beibehaltend:
    »Du bist erstaunt, mich zu sehen. Allerdings hatte ich gedroht, den ersten der Meinigen, der anfahren werde, zu erwürgen, -- und jetzt fahre ich selber an; ich müßte mich selber erdrosseln, nicht wahr? Ach, es wäre ja schon geschehen,
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