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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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begriffen, du hast geschmollt.... Und erinnerst du dich der Nacht bei uns, da wir nicht schlafen konnten, da wir gegenseitig unser Atemholen belauschten in der übermächtigen Sehnsucht, uns zu umschlingen!«
    Er ward von ihrer Heiterkeit angesteckt und scherzte über die Erinnerungen an ihre stumme Leidenschaft.
    »Du hast mich einmal geschlagen,« sagte er; »jawohl, auf beide Wangen geschlagen.«
    »Weil ich dich liebte«, flüsterte sie. »Ich wehrte mich dagegen, an dich zu denken; ich sagte mir, es sei aus. Und im Grunde wußte ich dennoch, daß wir eines Tages uns zusammenfinden würden. Es fehlte nur eine Gelegenheit, eine glückliche Fügung, nicht wahr?«
    Ein Schauder erfaßte ihn; er wollte diesen Traum abschütteln; dann wiederholte er langsam:
    »Man soll niemals sagen, daß alles aus ist; es genügt ein klein wenig Glück, und alles kommt wieder.«
    »Du behältst mich also? Diesmal ist's wirklich wahr?«
    Sie entglitt seinen Armen. So schwach war sie, daß ihre dumpfe Stimme erlosch. Erschrocken hielt er sie an seinem Herzen fest.
    »Du leidest?« fragte er.
    Sie richtete sich erstaunt auf.
    »Nein ... keineswegs... Warum denn?«
    Doch diese Frage hatte sie aus ihrem Traume erweckt. Sie starrte sinnlos in die Finsternis und rang die Hände in einem Anfall von Weinkrampf.
    »Mein Gott! Mein Gott! Wie schwarz ist es!«
    Fort waren die Felder, das wohlriechende Gras, der Vogelgesang, das helle Sonnenlicht, und geblieben waren die eingestürzte, ersäufte Grube, die stinkende Nacht, diese trübselig feuchte Gruft, in der sie seit so vielen Tagen mit dem Tode rangen. Die Verwirrung ihrer Sinne erhöhte jetzt die Schrecknisse dieses Aufenthaltes; sie ward von allem Aberglauben ihrer Kindheit wieder erfaßt; sie sah den schwarzen Mann, den alten, toten Bergmann, der nach der Grube zurückkehrte, um den schlimmen Mädchen den Hals umzudrehen.
    »Horch! Hast du gehört?«
    »Nein, nichts; ich höre nichts.«
    »Es ist der Mann, du weißt ja ... Schau, da ist er ... Die Erde hat alles Blut der Ader losgelassen, um sich dafür zu rächen, daß man ihr eine Schlagader durchschnitten. Er ist da, schau; er ist schwärzer als die Nacht! ... Ach, ich habe Furcht! Ich habe Furcht! ...«
    Sie schwieg, am ganzen Leibe zitternd. Dann fuhr sie in ganz leisem Tone fort:
    »Nein; es ist noch immer der andere.«
    »Welcher andere«?«
    »Der, der bei uns ist; der nicht mehr ist.«
    Das Gespenst Chavals ließ sie nicht zur Ruhe kommen; sie sprach in verworrenen Worten von ihm; erzählte von ihrem Hundeleben, von dem einzigen Tage, an dem er sich in der Jean-Bart-Grube freundlich gezeigt hatte; und erzählte von den anderen Tagen, an denen es Roheiten und Schläge gegeben, und wie er sie mit seinen Liebkosungen überhäuft, nachdem er sie mit Faustschlägen und Fußtritten halb totgemacht.
    »Ich sage dir, er kommt und wird uns hindern, beisammen zu bleiben ... Die Eifersucht packt ihn wieder ... Schicke ihn hinweg! Behalte mich, bei dir! Behalte mich ganz! ...«
    Fest hatte sie sich an ihn gehängt; sie suchte seine Lippen und drückte leidenschaftlich ihren Mund auf seinen Mund. Die Finsternis hellte sich auf; sie sah die Sonne wieder, sie fand das ruhige Lachen der Verliebten wieder. Er fuhr zusammen, als er sie so an seinem Leibe fühlte, halbnackt in ihrer in Fetzen zerfallenden Kleidung; und in einem Wiedererwachen seiner Männlichkeit schloß er sie an sich. Dies war endlich ihre Hochzeitsnacht in dieser Gruft, auf diesem Schmutzlager; es war das Bedürfnis, nicht zu sterben, ehe sie ihr Glück hatten; das hartnäckige Bedürfnis zu leben und ein letztes Mal das Leben zu betätigen. Sie liebten sich in der äußersten Verzweiflung, sie liebten sich im Tode.
    Dann war gar nichts mehr. Etienne saß auf der Erde immer in dem nämlichen Winkel, und Katharina lag unbeweglich auf seinen Knien. So gingen viele Stunden dahin. Er glaubte lange, daß sie schlafe; als er sie berührte, fand er, daß sie kalt und starr sei. Sie war tot. Dennoch rührte er sich nicht aus Furcht, sie zu erwecken. Der Gedanke, daß er sie, seitdem sie Weib geworden, zum ersten Male besessen, und daß sie vielleicht schwanger sein könne, versetzte ihn in tiefe Rührung. Noch andere Gedanken kamen ihm: der Wunsch, mit ihr fortzuziehen, die Freude des Zusammenlebens -- aber all das war nur vorübergehend, so unklar, daß diese Gedanken kaum seine Stirn streiften wie der Hauch des Schlafes. Er ward immer schwächer; es blieb ihm soviel Kraft, um eine
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