Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
leiseste Signal zu antworten. Bald hörten sie die mit der Spitzhacke geführten Hiebe; man begann die Rettungsarbeiten, eine Galerie wurde angelegt. Nicht das geringste Geräusch entging ihnen. Doch bald sank ihre Freude. Vergebens lachten sie, um sich gegenseitig über ihre Stimmung zu täuschen; die Verzweiflung bemächtigte sich bald ihrer wieder. Anfänglich ergingen sie sich in weitläufigen Erklärungen: man nähere sich ihnen augenscheinlich durch die Réquillartgrube; die Galerie senke sich durch die Schicht herab; vielleicht lege man mehrere an; denn es seien drei Männer bei der Durchschlagsarbeit. Dann redeten sie weniger, und schließlich schwiegen sie ganz, wenn sie die ungeheure Masse berechneten, die sie von den Kameraden trennte. In der Stille spannen sie ihre Gedanken fort; sie berechneten, wie viele Tage und Nächte ein Arbeiter brauche, um einen solchen Block durchzuschlagen. Man werde sie nicht früh genug erreichen; sie würden bis dahin zwanzigmal gestorben sein. In düsterer Stimmung, ohne in ihrer erhöhten Angst ein Wort auszutauschen, antworteten sie auf die Anrufe mit einem anhaltenden Pochen der Holzschuhe ohne Hoffnung, nur in dem mechanischen Bedürfnis, jenen kundzugeben, daß sie noch lebten.
    Es verging noch ein Tag und noch ein zweiter. Sie waren seit sechs Tagen in der Grube. Das Wasser, das ihnen bis zu den Knien reichte, stieg nicht mehr und sank auch nicht; ihre Beine schienen in dem eisigen Bade zu zerfließen. Auf eine Stunde konnten sie sie wohl herausziehen, aber ihre Lage ward dann so unbequem, daß sie von schrecklichen Krämpfen erfaßt wurden und die Beine wieder hängen lassen mußten. Alle zehn Minuten rückten sie auf den glitschigen Felsen hinauf. Die Kanten der Kohlenwand zerrissen ihnen den Rücken; sie fühlten im Nacken einen dauernden, heftigen Schmerz, weil sie immer gebeugt sitzen mußten, um sich den Schädel nicht einzurennen. Das Atmen wurde immer schwieriger; die von dem Wasser zurückgedrängte Luft verdichtete sich in dieser Art von Glocke, in der sie eingeschlossen waren. Ihre gedämpften Stimmen schienen von sehr weit her zu kommen. Ihre Ohren summten; es war, als hörten sie ein schrilles Sturmläuten, den Galopp einer Herde unter einem endlosen Hagelschauer.
    Anfänglich litt Katharina furchtbar durch den Hunger. Sie fuhr mit den mageren, gekrümmten Händen nach der Kehle, aus der ein hohler, keuchender Atem hervorbrach, eine fortwährende, herzzerreißende Klage. Es war, als ob man ihr mit einer Zange den Magen aus dem Leibe reißen wolle. Etienne, der die nämlichen Qualen litt, tastete fieberhaft in der Finsternis, und als seine Finger auf ein morsches Stück der Verzimmerung stießen, zermalmte er dieses mit seinen Fingernägeln und gab davon eine Handvoll dem Mädchen, das den Holzstaub gierig verschlang. Zwei Tage lebten sie von diesem morschen Holze; sie verzehrten das ganze Stück und waren trostlos, als es zu Ende war; sie zerschunden sich die Hände, um ein anderes Slück Holz in Angriff zu nehmen; es gelang aber nicht, die anderen Hölzer waren noch fest, ihre Fasern gaben nicht nach. Ihre Marter ward immer größer; sie waren wütend, weil sie die Leinwand ihrer Kleidung nicht zerkauen konnten. Ein Ledergürtel, der seine Jacke zusammenhielt, brachte ihnen kurze Hilfe. Er zerlegte ihn mit den Zähnen in kleine Stückchen, und sie zermalmte und verschlang sie. Dies beschäftigte ihre Kinnladen; sie konnten wähnen, daß sie aßen. Als der Ledergürtel aufgezehrt war, machten sie sich wieder an die Leinwand, an der sie Stunden lang sogen.
    Doch diese heftigen Anfälle legten sich bald; der Hunger war nur mehr ein tiefer, dumpfer Schmerz, das langsame, fortschreitende Ermatten ihrer Kräfte. Sie wären sicherlich ihren Leiden erlegen, wenn sie nicht Wasser gehabt hätten, soviel sie wollten. Sie brauchten sich nur zu bücken und konnten aus der hohlen Hand trinken. Dies taten sie auch unzählige Male, von einem solchen Durst gequält, daß all das Wasser nicht hingereicht hätte, ihn zu löschen.
    Als Katharina am siebenten Tage sich bückte, um zu trinken, stieß ihre Hand an einen schwimmenden Körper. »Schau... was ist das?« sagte sie.
    Etienne tastete in der Finsternis.
    »Ich begreife nicht; es ist wie die Decke einer Lüftungstür.«
    Sie trank; doch als sie ein zweites Mal schöpfen wollte, traf ihre Hand wieder den Körper, und sie stieß einen furchtbaren Schrei aus.
    »Mein Gott, er ist's!«
    »Wer denn?«
    »Er, du weißt?...
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher