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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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einige Schritte voneinander entfernt auf dem Boden; keiner von beiden öffnete den Mund. Auf eine Bemerkung des ersteren löschte letzterer seine Lampe aus, damit kein Licht verschwendet werde. Dann trat wieder Stille ein. Beunruhigt durch die Blicke, die ihr ehemaliger Galan ihr zuwarf, hatte Katharina sich in der Nähe des jungen Mannes ausgestreckt. Die Stunden gingen dahin; man hörte das leise Plätschern des unaufhörlich steigenden Wassers, während von Zeit zu Zeit dumpfe Stöße, von fernher kommendes Getöse die letzten Einstürze der Grube kündeten. Als die Lampe ausgebrannt war und man eine andere öffnen mußte, um sie anzuzünden, wurden sie von der Angst vor schlagenden Wettern erfaßt; allein sie wollten lieber gleich in die Luft fliegen, als in der Finsternis bleiben. Es gab indes keine Explosion, sie flogen nicht in die Luft. Sie hatten sich wieder auf der Erde ausgestreckt, und wieder verrann Stunde um Stunde.
    Etienne und Katharina hoben den Kopf, als sie zu ihrer Überraschung ein Geräusch vernahmen. Chaval hatte sich entschlossen zu essen; er hatte die Hälfte einer Brotschnitte genommen und kaute seine Bissen lange, um nicht versucht zu werden, alles auf einmal zu verschlingen. Die zwei anderen waren vom Hunger gefoltert und sahen ihm zu, wie er aß.
    »Ist's wirklich wahr, du weisest deinen Anteil zurück?« sagte er zu der Schlepperin mit seiner herausfordernden Stimme. »Du tust unrecht.«
    Sie hatte die Augen gesenkt, weil sie fürchtete, daß sie der Versuchung nachgeben könne. Ihr Magen wurde von solchen Krämpfen durchwühlt, daß ihr die hellen Tränen aus den Augen rannen. Aber sie begriff, was er wollte. Schon am Morgen hatte er ihr auf den Hals geblasen; als er sie an der Seite des ändern sah, ward er von seiner ehemaligen Gier wieder ergriffen. In den Blicken, mit denen er sie rief, loderte eine Flamme, die ihr wohlbekannt war, die Flamme seiner Eifersuchtsanfälle, in denen er sie mit Faustschlägen bearbeitete und beschuldigte, daß sie mit dem Mieter ihrer Mutter Scheußlichkeiten treibe. Sie wollte nicht; sie zitterte, durch ihre Rückkehr zu ihm die beiden Männer in tödlichem Hasse gegeneinander zu jagen in diesem engen Kellerloche, wo sie ohnehin dem Tode geweiht waren. Mein Gott! Konnte man denn nicht in Freundschaft aus dem Leben scheiden?
    Etienne wäre lieber Hungers gestorben, ehe er Chaval um einen Bissen Brot angegangen wäre. Eine dumpfe Stille war wieder eingetreten; die Zeit verlängerte sich zu einer Ewigkeit; Minute reihte sich an Minute, eintönig und hoffnungslos. Ein Tag war vergangen, seitdem sie zusammen eingeschlossen waren. Die zweite Lampe erbleichte, sie zündeten die dritte an.
    Chaval griff seine zweite Brotschnitte an und brummte:
    »So komm' doch, Dummkopf!«
    Katharina fuhr zusammen. Etienne wandte sich ab, um ihr ihre Freiheit zu lassen. Als sie sich noch immer nicht rührte, sagte er leise:
    »Geh' hin, mein Kind!«
    Da stürzten die Tränen hervor, die sie schier erstickten. Sie weinte lange und fand nicht die Kraft, sich zu erheben; sie wußte nicht mehr, ob sie Hunger habe, und litt unter einem Schmerze, der ihren ganzen Körper ergriffen hatte. Etienne hatte sich erhoben, ging hin und her und schlug den Anruf der Bergleute, wütend darüber, daß er diesen Rest des Lebens hier Seite an Seite mit dem verhaßten Nebenbuhler zuzubringen genötigt war. Nicht einmal soviel Platz, um fern voneinander zu verrecken. Wenn er zehn Schritte gemacht hatte, mußte er umkehren und an diesen Menschen stoßen. Und sie, das traurige Mädchen, um das sie noch unter der Erde stritten: sie werde dem letzten Lebenden gehören; dieser Mensch werde sie ihm wieder stehlen, wenn er zuerst von hinnen gehen sollte. Es wollte kein Ende nehmen; Stunden folgten auf Stunden; das Zusammenleben wurde immer unerträglicher in diesem engen Raume, der vergiftet wurde durch den zusammenströmenden Atem und durch die in Gemeinschaft befriedigte Notdurft. Zweimal rannte Etienne gegen die Felsen, als wolle er sich mit Faustschlägen einen Weg durch sie bahnen.
    Wieder ging ein Tag zu Ende. Chaval hatte sich zu Katharina gesetzt und mit ihr die letzte halbe Brotschnitte geteilt. Sie kaute mühselig die Bissen, und er machte sich für jeden mit einer Liebkosung bezahlt in seinem Eigensinn eines Eifersüchtigen, der nicht sterben wollte, ohne sie in Gegenwart des andern noch einmal besessen zu haben. Erschöpft ließ sie ihn gewähren; doch als er sie ergreifen wollte, klagte
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