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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie.
    »Ach, laß mich, du zerbrichst mir die Knochen.«
    Etienne zitterte am ganzen Leibe; er hatte die Stirne an die Hölzer gedrückt, um nicht zu sehen. Doch jetzt verließ ihn seine Ruhe und mit einem Satze kam er zurück.
    »Laß sie los!« schrie er.
    »Was geht es dich an?« entgegnete Chaval. »Sie ist mein Weib; sie wird doch wohl mir gehören!«
    Er ergriff sie wieder und drückte sie an sich aus reiner Prahlerei; und während er seinen roten Schnurrbart auf ihren Mund preßte, fuhr er fort:
    »Laß uns in Frieden und tue uns den Gefallen wegzuschauen, wenn wir dabei sind.«
    Doch Etienne rief mit wutbleichen Lippen:
    »Laß sie los, oder ich erwürge dich!«
    Hastig erhob sich der andere; er hatte an dem Zischen der Stimme des Kameraden erkannt, daß dieser ein Ende machen wolle. Der Tod schien ihnen zu langsam zu kommen; sogleich mußte der eine dem andern Platz machen. Die alte Fehde brach wieder los hier unter der Erde, wo sie alsbald Seite an Seite schlafen sollten; sie hatten so wenig Raum, daß sie die Fäuste nicht ausstrecken konnten, ohne die Haut abzuschürfen.
    »Nimm dich in acht!« brummte Chaval. »Diesmal fresse ich dich!«
    Etienne ward in diesem Augenblicke toll. Ein roter Nebel trübte seine Augen; ein Blutstrom stieg ihm in die Kehle und drohte ihn zu ersticken. Das Bedürfnis zu töten erfaßte ihn unwiderstehlich, ein körperliches Bedürfnis, gleich dem Reiz der Schleimhaut, der einen Hustenanfall hervorruft. Er brach gegen seinen Willen hervor unter dem mächtigen Drang des Erbübels, ergriff einen aus der Wand hervorragenden Schieferblock, lockerte ihn und riß ihn heraus; es war ein breites, schweres Stück. Er packte es mit verzehnfachter Kraft und fuhr damit auf Chavals Schädel nieder.
    Dieser hatte nicht mehr Zeit gehabt zurückzuspringen; mit gespaltenem Schädel und zermalmtem Gesichte sank er zu Boden. Das Gehirn war zur Decke der Galerie emporgespritzt; ein roter Strahl schoß aus der entsetzlichen Wunde, gleich dem unaufhörlichen Strahl einer Quelle. Sogleich entstand eine Blutlache, in der das rauchige Licht der Lampe sich widerspiegelte. Schatten lagerte auf dieser gemauerten Höhle; die Leiche am Boden glich dem schwarzen Höcker eines Haufens von Kohlenabfällen.
    Etienne beugte sich hernieder und betrachtete mit weit geöffneten Augen den Erschlagenen. So war es denn geschehen: er hatte getötet. Die verworrene Erinnerung an alle seine Kämpfe stieg in ihm auf; der unnütze Widerstand gegen das in seinen Muskeln schlummernde Gift, gegen den von seinem ganzen Geschlecht langsam angesammelten Alkohol. Und doch war er nur vom Hunger berauscht; die ferne Trunkenheit der Eltern hatte genügt. Seine Haare sträubten sich vor der Abscheulichkeit dieses Mordes; trotzdem seine bessere Erziehung sich dagegen auflehnte, schlug sein Herz stürmischer in der tierischen Freude, endlich seine Gier befriedigt zu haben. Dann stieg der Stolz des Stärkeren in ihm auf. Der kleine Soldat tauchte vor ihm auf, dessen Hals vom Messer eines Knaben durchbohrt war. Jetzt hatte auch er getötet.
    Katharina, die neben ihm stand, stieß einen Schrei aus.
    »Mein Gott, er ist tot!«
    »Bedauerst Du ihn?« fragte Etienne wild.
    Sie erstickte fast und brachte kein Wort hervor; dann wankte sie und warf sich ihm in die Arme.
    »Ach, töte auch mich! Laß uns beide sterben!«
    Sie umschlang ihn, hängte sich an seine Schultern, und auch er preßte sie an sich, und sie hofften so zu sterben. Doch der Tod hatte keine Eile; ihre Arme lösten sich wieder. Dann -- während sie die Hände vor die Augen legte -- schleppte er den Erbärmlichen fort und warf ihn in die schiefe Ebene hinab, um ihn aus dem engen Raum zu entfernen, wo sie noch leben mußten. Mit dieser Leiche unter den Füßen wäre das Leben unmöglich gewesen. Sie entsetzten sich von neuem, als sie ihn ins Wasser fallen hörten, daß der Gischt hoch aufspritzte. Das Wasser hatte also auch dieses Loch schon angefüllt; sie sahen es; es erreichte schon die Galerie.
    Ein neuer Kampf begann. Sie hatten die letzte Lampe angezündet, und diese verzehrte sich, das Wasser beleuchtend, das unaufhaltsam höher stieg. Zuerst reichte es ihnen bis zu den Knöcheln, dann bespülte es ihr Knie. Der Gang war abschlüssig angelegt; sie flüchteten in den Hintergrund, und dies gewährte ihnen eine Ruhe von einigen Stunden. Allein die Flut erreichte sie wieder; sie standen bis zum Gürtel im Wasser. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt betrachteten sie das

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