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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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belustigten sie sich in dieser Weise über die benachbarte Ehe zu dreien; es war ein Häuer, der einem Erdarbeiter Unterkunft gab; in dieser Weise hatte die Frau zwei Männer, den einen bei Nacht, den ändern bei Tag.
    »Philomene hustet«, begann Katharina wieder und spitzte die Ohren.
    Sie sprach von der Ältesten der Eheleute Levaque, einem großen Mädchen von neunzehn Jahren, der Geliebten Zacharias', von dem sie schon zwei Kinder hatte. Sie war übrigens so schwach auf der Brust, daß man sie am Sichtungswerk beschäftigte, weil sie zur Arbeit in der Grube nicht taugte.
    »Freilich, Philomene!« antwortete Zacharias. »Die schläft jetzt. Es ist doch eine Schweinerei, bis sechs Uhr zu schlafen.«
    Er schlüpfte in seine Hose; da schien ihm ein Einfall zu kommen, und er öffnete ein Fenster. Draußen herrschte noch immer tiefe Dunkelheit, und das Dorf erwachte allmählich; zwischen den Brettchen der Rolladen sah man nacheinander die Lichter aufblitzen. Da gab es einen neuen Zank; Zacharias neigte sich hinaus, um zu spähen, ob er nicht aus dem gegenübergelegenen Hause der Eheleute Pierron den Oberaufseher des Voreuxschachtes weggehen sehe, den man im Verdachte hatte, daß er bei der Frau Pierron schlafe; während Katharina ihm zurief, daß der Mann gestern seinen Tagesdienst in der Grube gehabt habe, und daß folglich Herr Dansaert diese Nacht nicht da geschlafen haben könne. Die Luft drang eiskalt herein; die beiden ereiferten sich; jeder trat für die Richtigkeit seiner Erkundigungen ein, als plötzlich ein heftiges Weinen losbrach. Es war Estelle, die in ihrer Wiege fror.
    Maheu erwachte augenblicklich wieder. Was hatte er denn in den Knochen, daß er wieder eingeschlafen war wie ein Taugenichts? Er fluchte so wild, daß die Kinder nebenan keinen Laut mehr wagten. Zacharias und Johannes beendeten mit müden Händen das Waschen. Alzire schaute noch immer mit weit offenen Augen. Die beiden Kleinen, Leonore und Heinrich, hatten trotz des Lärmens sich nicht gerührt, sondern schliefen, einander in den Armen liegend, mit demselben leisen Atem weiter.
    »Katharina, gib mir die Kerze!« rief Maheu.
    Sie war eben mit dem Zuknöpfen ihrer Jacke fertig geworden und trug die Kerze nach dem Flur, während ihre Brüder bei dem wenigen Lichte, das durch die Glastür fiel, ihre Kleider zusammensuchten. Ihr Vater stieg aus dem Bette. Doch sie hielt sich nicht länger auf; mit dicken Wollstrümpfen an den Füßen stieg sie tastend hinunter, um den Kaffee zu bereiten. Die Holzschuhe der ganzen Familie standen dort unter dem Eßschrank.
    »Wirst du schweigen, elender Wurm?« rief Maheu, den das fortwährende Geschrei Estelles erbitterte.
    Er war klein wie der alte Bonnemort und glich ihm ins Fette übertragen mit seinem starken Kopfe, seinem platten und fahlen Gesichte unter gelben, kurzgeschnittenen Haaren. Das Kind heulte jetzt noch ärger, erschreckt durch die großen, kräftigen Arme, die über seinem Kopfe fuchtelten.
    »Laß sie in Frieden; du weißt doch, daß sie nicht still sein will«, sagte seine Frau und streckte sich mitten im Bette aus.
    Auch sie war eben erwacht und beklagte sich; es sei doch zu dumm, daß man niemals die volle Nacht durchschlafen könne. Konnten sie denn nicht mit weniger Geräusch weggehen? In die Bettdecke eingewickelt, zeigte sie nichts als ihr langes Gesicht mit den groben Zügen einer etwas schwerfälligen Schönheit, mit neununddreißig Jahren schon verunstaltet durch ihr Leben voll Müh' und Not und durch die sieben Kinder, die sie geboren. Die Augen auf die Zimmerdecke gerichtet, sprach sie mit gedehnter Stimme, während ihr Mann sich ankleidete. Weder er noch sie achtete auf die Kleine, die sich schier den Hals ausschrie.
    »Ich muß dir sagen, daß ich keinen Sou im Hause habe, und es ist heut' erst Montag; sechs Tage dauert es noch bis zum Fünfzehnten des Monats. Ich weiß nicht, wie wir uns durchschlagen sollen. Ihr bringt alle miteinander neun Franken; wie soll ich da auskommen? Wir sind unser zehn im Hause.«
    »Oho, neun Franken?« wandte Maheu ein. »Ich und Zacharias je drei, das macht sechs; Katharina und der Vater je zwei, das macht vier; sechs und vier sind zehn; Johannes bringt einen, macht elf Franken.
    »Ja, elf; aber du rechnest die Sonntage nicht und die Tage, an denen es keine Arbeit gibt. Nie mehr als neun, hörst du?«
    Er suchte seinen Ledergurt am Boden und schwieg. Dann richtete er sich auf und sagte:
    »Beklage dich nicht, Weib; ich bin noch stark genug. Schon
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