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Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
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Zwiebeln die Luft, diese heiße, schwere, stets von einem scharfen Kohlengeruch gesättigte Luft.
    Katharina hockte sinnend vor dem offenen Speiseschrank. Es war nichts geblieben als ein Stück Brot, weißer Käse zur Genüge, aber kaum ein Krümchen Butter; und es galt, vier Butterbrote zurechtzumachen. Endlich entschloß sie sich, schnitt die Brotstücke, bedeckte eines mit Käse, bestrich ein zweites mit Butter und legte die beiden zusammen. Das war der »Ziegel«, die Doppelschnitte, die jeden Morgen in die Grube mitgenommen wurde. Bald lagen die vier »Ziegel« nebeneinander auf dem Tische, mit größter Genauigkeit aufgeteilt, von dem größten, der für den Vater bestimmt war, bis zu dem kleinsten, den Johannes bekam.
    Katharina, scheinbar ganz bei ihrer Arbeit, dachte über die Geschichten nach, die Zacharias von dem Oberaufseher und der Frau Pierron erzählte. Sie öffnete die Haustür zur Hälfte und warf einen Blick hinaus. Der Wind blies noch immer; an den niedrigen Häuserreihen des Dorfes flammten immer mehr Lichter auf, und das undeutliche Getümmel der erwachenden Bevölkerung machte sich vernehmbar. Türen wurden geöffnet und geschlossen; einzelne dunkle Reihen von Arbeitern zogen durch die Nacht dahin. Sie war doch recht dumm, sich einer Erkältung auszusetzen, da ja der Häuer gewiß zu Hause schlief, bis er um sechs Uhr seine Arbeit aufnehmen mußte. Aber sie verharrte dennoch in ihrer hockenden Stellung und beobachtete das Haus, das auf der anderen Seite hinter den Gärten lag. Jetzt ging die Türe auf, und ihre Neugierde ward wieder rege. Doch das konnte nur Lydia sein, die Tochter der Pierronschen Eheleute, die zur Grube ging.
    Ein zischendes Geräusch veranlaßte sie, den Kopf zu wenden. Sie schloß die Tür und eilte zum Herde: das Wasser kochte, floß über und drohte das Feuer zu verlöschen.
    Es war kein Kaffee mehr da: sie mußte sich begnügen, Wasser auf den Satz von gestern zu schütten. Dann süßte sie den Inhalt der Kaffeekanne mit Farinzucker. Eben kamen ihr Vater und ihre beiden Brüder herunter.
    »Alle Wetter!« sagte Zacharias, als er die Nase in den Napf gesteckt hatte, »der Trank wird uns nicht zu Kopf steigen.«
    Maheu zuckte resigniert die Achseln.
    »Bah!« sagte er; »man hat wenigstens etwas Warmes im Leibe, und das tut wohl.«
    Johannes hatte die Brosamen neben den Schnitten zusammengescharrt und in seinen Napf geworfen. Nachdem sie getrunken, goß Katharina den Rest des Kaffees in die blechernen Feldflaschen. Alle vier standen in dem fahlen Lichte der rauchigen Kerze und stürzten in aller Hast den Trunk hinunter.
    »Sind wir endlich fertig?« fragte der Vater. »Man möchte glauben, daß wir von unseren Renten leben.«
    Doch jetzt wurde von der Treppe her, deren Tür sie offen gelassen hatten, eine Stimme vernehmbar. Frau Maheu rief:
    »Nehmt alles Brot; ich habe noch einen Rest Nudeln für die Kinder übrig.«
    »Ja, ja«, antwortete Katharina.
    Sie hatte das Feuer wieder zugedeckt und in einer Ecke des Rostes einen Rest Suppe warmgestellt, den der Großvater, der um sechs Uhr kam, vorfinden sollte. Jeder holte unter dem Eßschrank seine Holzschuhe hervor, hängte die Feldflasche um und schob die Butterschnitte in den Rücken zwischen Hemd und Jacke. Dann brachen sie auf, die Männer voraus, das Mädchen hinterdrein, nachdem es die Kerze ausgelöscht und den Schlüssel umgedreht. Das Haus verfiel wieder in Stille und Dunkelheit.
    »Wir gehen zusammen«, sagte ein Mann, der die Türe des Nachbarhauses schloß.
    Es war Levaque mit seinem Sohn Bebert, einem Jungen von zwölf Jahren, der mit Johannes eng befreundet war. Katharina war erstaunt, unterdrückte ein Lächeln und flüsterte Zacharias ins Ohr: »Wie? Bouteloup wartete nicht einmal, bis der Mann fort war?«
    Die Lichter im Dorfe erloschen jetzt nacheinander. Eine letzte Tür fiel ins Schloß, dann ward alles wieder still; die Frauen und Kinder setzten in den bequemer gewordenen Betten ihren Schlaf fort. Vom Dorfe bis zu dem pustenden Voreux-Schachte bewegte sich ein langsamer Zug von Schatten, es war der Aufbruch der Kohlenarbeiter zum Werke, die ihre Schultern dahinschoben und ihre Arme, mit denen sie nichts anzufangen wußten, über die Brust kreuzten, während der Brotvorrat auf dem Rücken eines jeden einen kleinen Höcker bildete. Bloß mit dünner Leinwand bekleidet, zitterten sie in der Kälte, ohne sich deshalb mehr zu beeilen; in regelloser Weise zogen sie mit dem Getrappel einer Herde längs des
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