Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
und der Erschöpfung, der ihre ganze nackte Gestalt zu schwellen schien.
    Doch jetzt ward ein Gebrumme aus dem Flur hörbar; Maheu stammelte mit müder Stimme:
    »Alle Wetter, es ist Zeit aufzustehen!... Hast du Licht gemacht, Katharina?«
    »Ja, Vater; es hat unten vier Uhr geschlagen.«
    »Spute dich doch, Nichtsnutz! Hättest du gestern am Sonntag weniger getanzt, dann hättest du uns früher wecken können. Ist das ein Faulenzerleben!«
    Er brummte weiter; doch der Schlaf übermannte ihn; seine Vorwürfe verwirrten sich und gingen schließlich in einem neuen Schnarchen unter.
    Im Hemde und mit nackten Füßen ging das Mädchen in der Stube hin und her. Als sie am Bette Heinrichs und Leonores vorbeikam, warf sie die herabgeglittene Decke über sie; sie erwachten nicht aus ihrem festen Kinderschlafe. Alzire, die mit offenen Augen dalag, hatte sich wortlos umgewendet, um den noch warmen Platz ihrer älteren Schwester einzunehmen.
    »Los, Zacharias! Und du auch, Johannes!« rief Katharina und blieb vor ihren Brüdern stehen, die mit der Nase im Kopfkissen weiter schliefen.
    Sie mußte den Großen bei der Schulter fassen und schütteln; als er vor sich hin fluchte, entschloß sie sich, ihnen die Decke wegzuziehen. Sie fand es drollig und begann zu lachen, als sie die beiden Jungen mit den nackten Beinen strampeln sah.
    »Das ist blöd, laß mich in Frieden!« brummte Zacharias mürrisch, nachdem er sich aufgesetzt hatte. »Ich mag mag solche Spaße nicht... Herrgott, daß man schon wieder aufstehen soll.«
    Er war ein magerer, schlotteriger Kerl mit einem langen Gesichte, in dem einige spärliche Bartstoppeln saßen, und hatte die gelben Haare und die blutleere Blässe, die der ganzen Familie eigen waren. Sein Hemd hatte sich bis zum Bauche hinauf verschoben, er zog es herab nicht aus Schamhaftigkeit, sondern weil er fror.
    »Es hat unten vier Uhr geschlagen«, wiederholte Katharina. »Auf, auf! Der Vater wird bös.«
    »Scher' dich zum Teufel! Ich will schlafen«, sagte Johannes, zog die Beine an und schloß die Augen.
    Sie lachte wieder gutmütig. Er war so klein und seine Glieder so schwächlich mit ihren von den Skrofeln angeschwollenen Gelenken, daß sie ihn mit leichter Mühe in ihre Arme nahm. Allein er zappelte mit den Beinen; seine bleiche, faltige Affenfratze mit den grünen Augen, die durch seine großen Ohren noch breiter wurde, ward ganz bleich in ohnmächtiger Wut. Er sagte nichts, biß sie aber in die rechte Brust.
    »Böser Bube!« brummte sie, einen Schrei unterdrückend und den Jungen auf die Erde setzend.
    Alzire war nicht wieder eingeschlafen; sie hatte die Decke bis zum Kinn hinaufgezogen und lag stillschweigend da. Mit den klugen Augen eines Krüppels folgte sie den Bewegungen ihrer Schwester und ihrer Brüder, die sich ankleideten. Doch jetzt brach, ein neuer Streit an der Waschschüssel aus; die Jungen stießen das Mädchen weg, weil sie sich zu lange wusch. Die Hemden flogen über die Köpfe, während sie noch schlaftrunken sich wuschen, ohne jede Scham, mit dem ruhigen Behagen einer Tracht junger Hunde, die zusammen aufwachsen. Katharina war übrigens zuerst fertig. Sie schlüpfte in die Bergmannshose, legte die Leinwandjacke an, knüpfte die blaue Haube um den Haarknoten und glich in dieser sauberen Werktagsgewandung einem kleinen Mann. Nichts war von ihrem Geschlecht übriggeblieben, als ein leichtes Wiegen der Hüften.
    »Wenn der Alte heimkommt, wird er sich freuen, wenn er das Bett so zerworfen antrifft«, sagte Zacharias boshaft. »Ich werde ihm erzählen, daß du es getan hast.«
    Der Alte war der Großvater, Bonnemort, der bei Nacht arbeitete und bei Tage schlief. Das Bett kühlte denn auch nie aus; es schlief immer jemand darin.
    Ohne zu antworten, hatte sich Katharina daran gemacht, das Bett in Ordnung zu bringen. Doch seit einer Weile wurden hinter der Mauer aus der Nachbarschaft Geräusche vernehmbar. Diese Ziegelbauten, von der Gesellschaft aufs sparsamste hergestellt, waren so dünn, daß man jeden Laut hindurch hörte. Man lebte eng zusammengedrängt von einem Ende des Ortes bis zum andern; nichts von dem intimen Leben blieb verborgen, selbst vor den Kindern nicht. Ein schwerer Tritt hatte eine Treppe in Erschütterung gebracht; dann hörte man einen weichen Fall, dem ein Seufzer der Erleichterung folgte.
    »Schön«, sagte Katharina. »Levaque geht zur Grube, und Bouteloup geht zur Frau Levaque.«
    Johannes kicherte, und auch Alzires Augen funkelten lebhafter. Jeden Morgen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher