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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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Flamme warf ihren lichten Schein auf die Beschläge des Bratspießes, auf die blanken Reihen der Pfannen und Kupferkessel und auf die mit Porzellan beladene Anrichte. Ein Sonnenstrahl drang durch die Gardinen aus rotem Kattun und umwob die weißen Haare des Herrn von Seigneulles und das verwitterte bartlose Gesicht Magdelinats, der das Rasiermesser über denschwarzen Lederriemen zog, mit einem rosigen Schimmer. Der Barbier war ein schmeichlerischer, kriechender Schönredner und nebenbei tückisch wie eine Wespe und furchtsam wie ein Hase. Er kannte zuerst die kleinsten Skandalgeschichten, die sich in Juvigny ereigneten, und verstand es, dieselben mit boshaften Glossen zu würzen und ihnen, je nach dem Gaumen seiner Kunden, einen mehr oder weniger gepfefferten Geschmack zu geben. Herr von Seigneulles war der einzige, der die Geschichten des Barbiers schlecht aufnahm, und Magdelinat grollte ihm deshalb im geheimen. Er hatte schon beim Aufstehen das Abenteuer vom »Weidenball« erfahren und hätte es für sein Leben gern dem Chevalier aufgetischt, um dessen hochmütiges, absprechendes Wesen etwas zu dämpfen. Er konnte kaum den Mund halten, fürchtete aber andererseits die stürmischen Zornesausbrüche des Herrn von Seigneulles; während er sein Rasiermesser abzog, sann er hin und her, um einen sinnreichen Ausweg zu finden, der ihm ermöglicht hätte, seine Lust zu büßen, ohne Gefahr zu laufen, sich mit seinem Kunden zu entzweien. An jenem Tag schien der alte Gardeoffizier sich weniger als je auf eine Unterhaltung mit dem Perückenmacher einlassen zu wollen. Er war schon sehr übellaunig aufgewacht; sein mageres Gesicht war streng, die grauen Augen starrten fest vor sich hin, die Brauen waren finster zusammengezogen und die Adlernase schien noch spitziger als sonst zu sein. Er that den Mund nicht auf und blieb selbst für die Schmeicheleien seiner beiden Lieblingskatzen unempfindlich, die sich vergeblich an seinen langen Beinen rieben und ein leises, kurzes Miauen dabei hören ließen.
    »Wo ist mein Sohn?« fragte er plötzlich. Marie antwortete, daß Herr Gérard, der schon in aller Frühe in den Wald gegangen sei, gesagt habe, er wisse nicht, ob er bis Mittag zurück sei, und man solle mit dem Essen nicht auf ihn warten. Herr von Seigneulles brummte unzufrieden vor sich hin.
    »Herr Gérard,« sagte freundlich der Barbier, »ist einhübscher junger Mann und verspricht ein höchst angenehmer Tänzer zu werden.«
    »Woher wissen denn Sie das?« sagte Herr von Seigneulles trocken.
    »O, ich weiß es nur vom Hörensagen!«
    »Was soll das heißen mit Ihrem Hörensagen? ... Mein Sohn hat noch nie einen Fuß in einen Ballsaal gesetzt, und ich glaube nicht, daß er auf dem Marktplatz Luftsprünge macht.«
    Magdelinat hustete zurückhaltend, während er seinen Seifenschaum in dem Barbierbecken schlug.
    »Kennen der Herr Baron vielleicht den jungen Laheyrard?«
    »Diesen Tölpel, der das Horn bläst und mich im Schlafen stört? ... Gott sei Dank, nein! und ich habe auch nicht die geringste Lust, ihn kennen zu lernen.«
    »Herr Laheyrard ist auch ein hübscher Tänzer, und dazu noch ein lustiger Bursche, der vor nichts zurückschreckt.« Herr von Seigneulles machte eine ungeduldige Bewegung, und Magdelinat beeilte sich, ihm mit seinem Pinsel über Kinn und Wangen zu fahren; aber als das Gesicht des Chevaliers mit einer dicken Lage Schaum beschmiert und er so außer stand gesetzt war, zu sprechen, in jenem kritischen Augenblick, in dem der Kunde dem Barbier vollständig preisgegeben ist, fing der hinterlistige Magdelinat wieder an: »In der ganzen Stadt spricht man von nichts als von dem Handel, den der junge Laheyrard gestern auf dem ›Weidenball‹ hatte. Stellen Sie sich vor, gnädiger Herr, daß er gestern abend fünf oder sechs bösartigen Tölpeln standhielt, die einem jungen Mann, der mit den dortigen Gebräuchen noch unbekannt und zum erstenmal auf dem Ball war, Angelegenheiten machen wollten! Ist es zu glauben? Mit einem reizenden Jungen Streit zu suchen, nur weil er von Adel ist und sein Vater Karl X. betrauert! ...«
    Er wurde von dem Chevalier, der seinen Arm so fest hielt, wie ein Schraubstock, heftig unterbrochen. »SeinenNamen!« schrie Herr von Seigneulles durch den wogenden Schaum. »Es war Gérard, nicht wahr? Zum Kuckuck! Verschonen Sie mich mit Ihrer Geheimniskrämerei und reden Sie offen heraus!«
    »Au! au! Lassen Sie mich los!« stöhnte der erschrockene Barbier, »ich war nicht dort ... Man hat
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