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Gequält

Gequält

Titel: Gequält
Autoren: Hans Koppel
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nicht.«
    »Glauben Sie, dass Sara Vallgren Sie beschatten ließ?«
    »Ich weiß nicht. Ich glaubte  … «
    »Sie glaubten?«
    Calle schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. Die Verteidigerin atmete ein paarmal tief durch. Sie hatte erreicht, worauf sie abgezielt hatte. Noch einmal in dieselbe Kerbe zu hauen, würde ihr keine Sympathien eintragen, und sie ließ es aus taktischen Gründen auf sich beruhen.
    »Lassen Sie mich noch sagen, dass ich den Tod Ihres Freundes zutiefst bedauere. Den Partner zu verlieren ist unvorstellbar schwer.«
    Der Vorsitzende sah sie an. Keine weiteren Fragen? Die Verteidigerin schüttelte den Kopf.
    Calle Collin stand auf, sah sich unsicher um und ließ sich aus dem Saal geleiten. Jörgen erhob sich, um ihm zu folgen. Ein dänischer Polizeibeamter in Zivil dankte Calle auf dem Korridor pflichtschuldig für seine Teilnahme. Jörgen hakte seinen Freund unter, und sie traten zusammen in die Sonne, unter der das Leben mit gewohnter Ahnungslosigkeit weiterging.
    »Wir könnten ein Bier trinken gehen«, sagte Jörgen.
    »Ich will nach Hause.«
    Sie nahmen ein Taxi nach Kastrup, ohne einen Gedanken an den Auftritt Sara Vallgrens im Gerichtssaal zu verschwenden. Gefühlvoll beschrieb sie, wie sie von ihrem langjährigen, engsten Mitarbeiter betrogen worden war, der hinter ihrem Rücken offenbar eigene Ziele verfolgt hatte. Die schrecklichen, in der Zeitung beschriebenen Morde und die abscheuliche Gewalt erfüllten sie mit Grauen. Sie wollte keine Spekulationen darüber anstellen, wer wofür verantwortlich war. Das war Aufgabe der Polizei.
    Sie räumte ein, dass ihr Unternehmen in den Augen der Moralisten zwielichtig wirkte, konnte aber nicht genug betonen, dass es ihr einziges Ziel sei, in einer Welt, die es ganz offenbar bitter nötig hatte, Freude, Schönheit und Unterhaltung zu verbreiten.

86
    Erstaunlich, wie rasch sie wieder in den Alltag zurückgefunden hatte. Als wäre sie kaum weg gewesen. Und doch lag es nur fünf Wochen zurück, dass die Polizisten bei ihr angeklopft hatten. Fünf warme, sonnige Wochen, in denen sich der Lärm von der Straße in den Hafen und an den angrenzenden Strand verlagert hatte. Dänische und deutsche Segelboote lagen neben schwedischen in der Marina. Die Straßencafés waren gut besucht, und überall radelten Kinder, die Sommerferien hatten, glücklich und planlos herum.
    Margit Svensson hatte versucht, die Welt um sich herum wahrzunehmen. Sie wollte sich an dem regen Treiben, das sie umgab, erfreuen. Sie rief sich die Worte der Krankenschwester im Ärztehaus in Erinnerung. Solange Sie sich an sie erinnern, sind sie noch da.
    Margit wusste nicht recht, ob dieser Satz dumm oder klug war. Sie entschied sich für klug. Margit mochte die Krankenschwester. Sie hatte sie nicht angefasst. Im Gegensatz zu vielen anderen, die ihr über den Arm streichen oder sie umarmen wollten.
    Margit mochte das nicht. Ihre Haut juckte. Immerzu. Als trüge sie einen engen, kratzenden Pullover. Am schlimmsten war es am Rückgrat.
    Der Chef beschäftigte sie in der Verpackungsabteilung. Sie verrichtete einfache Aufgaben, die momentan darin bestanden, einen Schlüsselring auf ein Comicheft zu legen, das dann von einer Maschine mit einer Plastikhülle versehen wurde.
    Nachdem Margit die monotone Bewegung eine halbe Stunde lang ausgeführt hatte, war jegliches Zeitgefühl verschwunden. Kent stand vor ihr. So lebendig wie vor fünfzehn Jahren. Sie hatte ihn aus irgendeinem Grund ausgeschimpft. Dieser Junge bereitete ihr unendlich viel Kummer, aber sein Lächeln brachte die Welt zum Stillstand. Er hätte das Zeug zu etwas Großem gehabt und war nicht einmal vierzehn Jahre alt geworden.
    Mattias, sie liebte Mattias. Nicht so, wie sie Kent geliebt hatte, aber trotzdem, sie liebte ihn. Obwohl er unnahbarer war. Mattias war verschlossen, eigensinnig, verschwiegen. Er lächelte selten und hatte eine reservierte Art, aber er war loyal, war immer für sie da gewesen und hatte sie nie enttäuscht. Sie versuchte, ihn sich vorzustellen, aber sein Bild war verschwommen, obwohl er noch vor ein paar Monaten in ihrer Küche gesessen hatte.
    An Kent zu denken war leichter, weiter weg. Margit sah ihren älteren Sohn vor sich, dreizehnjährig, ein Kind.
    Die Maschine stoppte, und Margit, die gerade eine Handvoll Schlüsselringe ergriffen hatte, hielt mit erhobener Hand inne. Jemand berührte sie an der Schulter.
    »Kaffeetrinken«, sagte Katta und ließ ihre Hand auf Margits Schulter liegen.
    Margit
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