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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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Bettes.
    »Verzeih, wenn ich so hart mit dir sein muss. Du bist wichtig! Niemand sonst.« Er drückte die Decke um ihren kleinen Körper fest, stand auf und ging zur Tür. »Und nur ich weiß, was gut für dich ist!«
    Sie nickte. Sie konnte die Sterne nicht mehr sehen.

VIER
    »Bitte beim Bademeister bezahlen.« Das Schild hing im Fenster des Eingangsbereiches. Jemand hatte den Satz mit dem Computer geschrieben, ausgedruckt und über der kleinen Luke aufgehängt, durch die sonst Kleingeld und Eintrittskarten gereicht wurden. Unter dem Hinweis bedankte sich das Team des Rosenbades in kleiner Schrift für das Entgegenkommen der Besucher. Der Glaskasten war verwaist, die Schublade der Kasse war leer und stand offen. Vermutlich, um Begehrlichkeiten erst gar nicht aufkommen zu lassen.
    Links neben dem Eingang verwehrte rot-weißes Absperrband den Zutritt zu einem schmalen Seitenpfad, der zwischen Schwimmbad und Bachlauf lag. Hier, am Ende der Flucht, hatte man Prutschiks Leiche gefunden. Der junge Polizist, der zur Bewachung abgestellt worden war, wirkte müde und erschöpft. So wie er aussah, hatte er die ganze Nacht hier gestanden. Ich lächelte ihn mitleidig an und rüttelte an der Eingangstür des Schwimmbades. Geschlossen. Ein kleines Schild an der Mauer verkündete die Öffnungszeiten. Neun bis neunzehn Uhr. Ich war anderthalb Stunden zu früh hier.
    Gerade als ich mich umdrehen und nach Hause zurückkehren wollte, kamen zwei ältere Damen auf den Eingang zu und traten an den Metallzaun. Ohne in ihrem Gespräch innezuhalten, zogen sie einen leeren Getränkekasten von der anderen Seite des Zaunes hinüber. Sie platzierten ihn vor ihren Füßen, nutzten ihn als Treppe und stiegen auf der anderen Seite genauso mühelos wieder hinunter.
    Ich beschloss, es ihnen gleichzutun. Unter den Blicken des jungen Beamten, der keinerlei Einwände dagegen zu haben schien, warf ich meine Tasche auf die andere Seite und turnte hinterher. Bei der Vorstellung, das in einem der Kölner Schwimmbäder zu versuchen, musste ich grinsen. Dort würde man vermutlich mit Handschellen abgeführt und des Hausfriedensbruchs angeklagt. Hier nicht.
    Die raue Oberfläche des Startblocks kitzelte mich unter den Füßen, als ich meine Arme nach oben reckte und tief Luft holte. Mit einem Kopfsprung tauchte ich ein. Für einen kurzen Moment verkrampfte sich mein Körper. Die Temperatur im Gemünder Rosenfreibad war zu niedrig für meine gerade aus dem Bett gekrochenen Glieder. Ich öffnete die Augen und starrte durch das Wasser an die Oberfläche. Luftbläschen wirbelten um mich herum und stiegen in kleinen Wolken hoch. Prustend kam ich nach oben. Ich zwang meine Arme in einen Rhythmus, der mich mit gleichmäßigen Kraulschlägen vorwärtstrieb. Mein Herzschlag bemühte sich, den plötzlichen Anforderungen gerecht zu werden, und pumpte Blut in die äußersten Spitzen meiner Muskeln. Die Kälte wich, und mich überkam ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Ich glitt vorwärts, als ob ich fliegen würde. Drei Schläge, mit dem vierten drehte ich mein Gesicht aus dem Wasser und sog Sauerstoff in meine Lungen. Ich dachte an nichts, nur das regelmäßige Auf und Ab steuerte meinen Körper Meter für Meter, unterbrochen durch die Drehung und das anschließende Gleiten, nachdem ich mich vom Rand abgestoßen hatte. Bahn für Bahn für Bahn. Nach der letzten Wende drehte ich mich auf den Rücken, ließ Arme und Beine locker hängen und starrte in den Himmel.
    Blau. Wie Jans Augen. Blau. Es zog mich in sich hinein. In die Weite des Himmels und die Tiefe unter mir.
    Nein. Ich wollte es nicht. Nicht die Erinnerung und nicht den Schmerz. Wollte es vergessen. Deswegen war ich zurückgekommen.
    Mit einem Ruck drehte ich mich wieder in Bauchlage, streckte meine Arme nach vorne und schaute mich um.
    Neben mir zogen zwei ältere Damen mit bunten Blütenbadekappen ihre Bahnen. Hoch aufgerichtet schoben sie eine kleine Bugwelle vor sich her, die sich an den Seiten ausbreitete und an den Rändern in die Überlaufrillen schwappte. Immer wieder schauten sie verstohlen zu mir hinüber, um dann die Köpfe zusammenzustecken und miteinander zu tuscheln. Ich sah sie durch die Chlorschwaden hindurch an und grüßte lächelnd. Ich erkannte sie, es waren Nachbarinnen meines Vaters, Frau Rostler und Frau Keil. Die Gummiblumen der beiden wippten hoheitsvoll einen Gruß zurück und schoben weiter.
    Am Ende der Bahn tauchte ich unter dem rot-weißen Seil hindurch, das den Schwimmer- vom
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