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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer
Autoren: T Korber
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über ihn unterhält, als wenn er nicht da wäre, nicht wahr, Tobias?«
    Der Angesprochene entzog ihr seine Hand und begann, sich damit auf den Kopf zu schlagen. Sofort fing seine Tante seine Finger wieder ein. »Ist schon gut«, sagte sie, »du hast ja nichts falsch gemacht.«
    »Ich vielleicht wieder, oder was?«, rief ihr Mann, einen Tick lauter. »Herrgott, was soll man denn sonst tun, als ihn ignorieren. Mit ihm reden kann man ja wohl schlecht.«
    »Wolfgang«, rief Hedwig. Noch immer war sie beschäftigt, die Hände ihres Sohnes im Zaum zu halten, der dazu übergegangen war, »böses Wort, böses Wort« zu kreischen.
    »Wirft er die Katzen aus dem Fenster?«, fragte Tobias. »Oder springt er nur nackt auf dem Trampolin?«
    »Da siehst du es.« Wolfgang Anders hob die Hände und ließ sie auf die Tischplatte krachen. »Er ist kaum einen halben Tag hier, und schon hat er es erfasst.«
    »Tobias ist ein erwachsener Mann«, wiederholte Viktors Tante.
    Wolfgang Anders machte sich daran, die nächste Fleischscheibe abzuschneiden. »Wenn er erwachsen wäre, würde er seine Hosen selber zumachen.«
    Der um sich schlagende Tobias stieß ein Glas Wasser um und überschwemmte den Tisch. Als seine Mutter ihn losließ, sprang er auf und rannte aus dem Zimmer. Hedwig nahm einen Lappen und seufzte.
    Wolfgang Anders beendete seine Mahlzeit mit energischen Bewegungen. Dann schob er den Stuhl zurück. »Wie wäre es jetzt mit dem Keller?«, fragte er.
    Seine Frau schaute auf.
    Er erwiderte ihren Blick nur kurz. »Irgendwann musst du dich der Sache ja mal stellen, wenn das dein Beruf werden soll, was, Viktor?«
    »Aber doch nicht nach dem Essen, Wolfgang.«
    »Nach dem Essen, vor dem Essen, ist doch egal.« Er winkte ab. »Schon mal eine Leiche gesehen, Junge?«
    Viktor überlegte. Da war sein Surferfreund Bill gewesen, der plötzlich aufgeschrien hatte und im Wasser verschwunden war. Als sein Brett ans Ufer trieb, hatte es ausgesehen wie ein säuberlich angebissenes Sandwich. Aber mehr war nie aufgetaucht. Dann der Motorradfahrer auf einer der Bergstraßen. Allerdings war der schon von Helfern umringt gewesen. Viktor hatte im Vorbeifahren nicht viel mehr zu Gesicht bekommen als einen merkwürdig verdrehten Fuß in einer schmutzigen Socke. Er schüttelte den Kopf. »Nur Lebende«, antwortete er.
    Sein Onkel stutzte einen Moment, dann stemmte er sich vom Tisch hoch. »Also dann. Du warst doch noch nicht im Keller, oder?«
    Viktor wollte schon zu einem erneuten Kopfschütteln ansetzen, als er innehielt. »Nein«, sagte er dann langsam, verwundert, dass er überlegen musste. »Nein, ich war noch nie unten.« Seine Hände zitterten. »Du weißt doch, dass uns das strikt verboten war.«
    »Das war nur zu eurem Besten. Schöne Alpträume hättet ihr bekommen«, warf Tante Hedwig ein.
    »Ach was, am Ende hätten sie vor ihren Schulkameraden damit geprotzt«, widersprach Onkel Wolfgang. »Und du weißt, wie schnell da die übelsten Gerüchte entstehen.«
    Viktor lächelte seiner Tante zu. »Die Alpträume hatten wir eh, schon wegen unserer lebhaften Fantasie, schätze ich.«
    Sie zog ein mitleidiges Gesicht.
    »Lass dir von dem Bengel bloß kein schlechtes Gewissen einreden«, sagte ihr Mann. »Der ist so behütet aufgewachsen wie jeder andere. Und alles bezahlt mit dem Geld, das wir verdient haben.«
    »Einer muss es ja machen«, stimmte Viktor seinem Onkel mit dessen Lieblingssatz zu. Er stand auf und ließ seine Knochen knacken, als er sich reckte. »Also. Wollen wir dann?«
    Forsch schritt er auf die Kellertür zu. Er ließ seinem Onkel den Vortritt, der den Lichtschalter betätigte und dann die enge Treppe hinabstieg.
    »Die Särge«, rief Wolfgang Anders über die Schulter, »werden neuerdings durch einen kleinen Lift in der Garage angeliefert. Mit der Zeit war es deinem Vater und mir zu mühsam, sie hier runterzuschleppen.«
    »Verstehe«, murmelte Viktor und zog den Kopf ein, um den Spinnweben auszuweichen.
    »Hier gehe ich eigentlich nur noch lang, wenn ich schnell vom Büro aus was nachsehen will. Pass auf mit der nächsten Stufe. Ich wollte das Linoleum schon vor Jahren austauschen.«
    Viktor starrte auf seine Füße. Das Linoleum war beige, gemustert wie Marmor, die Kanten uringelb verfärbt und aufgewölbt. Das Muster dehnte sich vor seinen Augen und schrumpfte wieder zusammen. Ihm war, als könne er das Linoleum unter seinen nackten Füßen spüren, das floppende Geräusch von Haut auf Plastik dazu hören. Kurz wurde ihm
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