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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer
Autoren: T Korber
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aus, großporiger, zugleich glatter. Sie erinnerte Viktor an Leder, an echte Schweinslederkoffer, Handtaschen. Oder an Schwarten. Die Haare dagegen leuchteten noch. Als wären sie allein lebendig geblieben. Viktor streckte die Hand aus, unterließ es dann aber, die weißblonden Strähnen zu berühren.
    »Wie alt war sie?«, fragte Viktor und betrachtete das Nachthemd mit den aufgedruckten Früchten. Seine Stimme kippte leicht. »Vier?«
    »Emily war sechs«, sagte sein Onkel. »Sie haben sie zum Sterben nach Hause geholt. Deshalb all das …« Er wies mit dem Kinn in Richtung ihres Mundes, aus dem noch immer ein Stück eines starren Plastikschlauchs ragte. »Die Eltern brachten es nicht über sich, das selbst zu entfernen. Der Vater ist zwar Arzt, aber in solchen Fällen …«, er holte tief Luft, »… ist das unser Job.«
    Viktor ging einmal um den Tisch herum. Emilys Augen waren fest geschlossen, so fest, dass es die spinnenbeinfeinen Wimpern fast nach innen zog. Ihre Fingerspitzen hatten sich dunkel verfärbt wie die eines Kettenrauchers. Entweder waren Medikamente daran schuld, dachte Viktor, oder die ersten Anzeichen der Verwesung. Er hatte einen sauren Geschmack im Mund.
    Emilys Füße dagegen, klein, fest, dick von Babyspeck, zeigten rosig in die Luft. Aber sie waren kalt, als er sie berührte, drei Grad plus, unbiegsam hart. Mitleidig schaute er dem Mädchen ins Gesicht. Auf ihrer Stirn bildeten sich zarte Tropfen.
    »Sie schwitzt ja!«
    Wolfgang Anders griff nach einer Packung Zellstoff und tupfte routiniert die Flüssigkeit ab. »Das ist kein Schweiß«, erklärte er. »Das ist Kondenswasser. Es bildet sich, wenn man sie herausholt in die Wärme.« Er knüllte den Zellstoff zusammen und warf ihn mit Schwung in den Müllsack. »Wir bereiten sie morgen früh auf.«
    »Morgen früh?« Viktor hob den Kopf. »Wenn es nicht um sie geht«, fragte er, »warum hast du sie dann überhaupt herausgeholt?«
    Wolfgang Anders hob die Augenbrauen. Eine leichte Röte stieg in sein Gesicht, doch er wandte den Blick nicht ab.
    »Oh, verstehe«, sagte Viktor. »Du wolltest mich gleich mit dem schlimmsten Anblick konfrontieren, den du zu bieten hast, was? Mal sehen, ob der Neffe sich nicht doch überschätzt hat.«
    »Und?«, fragte sein Onkel. »Hat er?«
    »Hab ich dir erzählt, dass ich auf den Hebriden mal in einer Fischkonservenfabrik gearbeitet habe?«, entgegnete Viktor. »Wir standen am Fließband und mussten die toten Fische ausnehmen. Also, manchmal war das nicht schön, und es kam schon mal vor, dass sich einer übergeben musste – auf den ganzen Fischhaufen. Ich schätze mal, das ist dann mit eingedost worden. Thunfisch im eigenen Saft.«
    »Du bist geschmacklos.«
    »Ich? Ja, klar«, gab Viktor zurück. »Ich bin hier der Geschmacklose.«
    Sein Onkel straffte sich. »Ich habe noch nie an einem Kind gearbeitet, ohne dass mir die Tränen gekommen wären.«
    Bastard, dachte Viktor. Laut sagte er: »Du bist ein Vorbild für uns alle.«
    Sein Onkel kniff die Lippen zusammen. »Und du bist wirklich sicher, dass du das willst?«
    Viktor verneigte sich mit großem Aufwand, wie ein billiger Zauberkünstler. »Den nächsten Gang bitte.«
    Krachend schob Wolfgang Anders die Lade zurück und öffnete eine neue.
    Diesmal ging alles so schnell, dass Viktor keine Zeit hatte zu erschrecken.
    »Das ist Rainer Bulhaupt«, erklärte Wolfgang Anders.
    Viktor sah Altmännerfüße mit eingewachsenen Zehennägeln und drahtige Schienbeinbehaarung, zwischen Socken und Hosenbein hervorquellend. Es folgten Anzughosen mit einem eingetrockneten Fleck im Schritt, eine Nadelstreifenkrawatte, die schief im V-Ausschnitt eines Pullovers hing, und ein hageres Gesicht, dessen scharfe Nase unversöhnlich in die Luft stieß.
    »Heute ist er dran«, sagte Onkel Wolfgang und reichte seinem Neffen eine Schere. »Schneid die Hosenbeine auf.«
    »Du meinst, richtig zerschneiden?«, hakte Viktor nach und schaute zweifelnd auf den teuren Stoff.
    »Er hat sich eingenässt, vermutlich auch gekotet. Die will sowieso keiner mehr haben. Üblicherweise holen wir später von den Angehörigen die Kleider, in denen der Tote begraben werden soll. Nach den alten Sachen hat noch nie jemand gefragt. Die kommen in den Müll.«
    Als Viktor immer noch zögerte, schnaufte sein Onkel abfällig. »Na gut, dann die orthodoxe Tour. So kannst du es gleich lernen. Also, öffne den Hosenbund, okay, und jetzt rüberrollen nach links, Hose über die eine Pobacke ziehen, rüberrollen
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