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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer
Autoren: T Korber
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schwindelig, sodass er nach dem Geländer greifen musste. Irritiert blinzelnd starrte er auf seine Sneakers.
    »Warte kurz, ich mache Licht.« Sein Onkel verschwand.
    Viktor stand wie angewurzelt da und starrte auf den schmalen, grellen Lichtstreifen, den er durch den Türspalt erkennen konnte. Groß und immer größer werdend raste er auf ihn zu.

5
    Als er wieder zu sich kam, fiel sein Blick zuerst auf seinen Cousin. Tobias hockte an einem Tisch in der Ecke, über einen an der Tischplatte montierten Bleistiftspitzer gebeugt, dessen Kurbel er engagiert drehte.
    »Er spitzt die Make-up-Stifte«, erklärte sein Onkel. »Er spitzt liebend gerne die Make-up-Stifte. Und er sortiert sie in ihre Fächer ein. Er sortiert und sortiert. Na ja, wenigstens findet man so, was man sucht.« Damit wandte er seinem Sohn den Rücken zu.
    Viktor holte tief Luft und schaute sich um. Der Raum hatte etwas von einer Zahnarztpraxis: die Waschbecken mit den Behältern für Seife und Desinfektionsmittel, die weißen, klinisch sauberen Schrankflächen, die beschrifteten Schubladen, die grellen Arbeitslampen an der Decke, die man mit einem Griff in Position ziehen konnte. Statt des Behandlungsstuhls gab es allerdings zwei fahrbare Tische aus Edelstahl. Und an der Rückwand sah er sechs quadratische, in zwei Reihen übereinander angeordnete Metalltüren, deren schwere Griffe verrieten, dass sie solide verschlossen waren. Viktor hörte das dezente Summen der Kühlung. Ein Display zeigte in grünen Digitalziffern an, dass in den Kammern genau drei Grad plus herrschten. Okay, dachte Viktor und atmete tief ein und aus. Die Schwäche, die ihn auf der Treppe befallen hatte, verschwand langsam. So recht verstand er sie auch nicht; Tote waren im Grunde nichts, wovor man sich fürchten musste. Steuererklärungen, Amokläufer, Gesellschaftstänze, ja – das hier aber war nichts weiter als ein natürlicher Teil des Daseins. Mit ruhiger werdendem Puls wagte er, ein paar Schritte umherzugehen.
    An der Wand neben den Waschbecken hing ein Arbeitsplan. Drei der Kammern waren offenbar gerade belegt. Flüchtig überflog Viktor Namen, Sterbe- und Beerdigungsdaten und warf einen Blick auf die Reihe von Arbeitsschritten, die abgehakt werden mussten. Ein angebundener Bleistift hing daneben. Er schnippte ihn an und schaute zu, wie er über die Aufzeichnungen pendelte. Mit einem Mal hatte er es überhaupt nicht eilig.
    »Onkel Gernot.« Er drehte sich um. »Ich hab doch schon mal einen Toten gesehen: Onkel Gernot, Mamas Bruder. Er ist an Leberkrebs gestorben und lag ganz gelb und schrumpelig im Sarg.«
    Sein Onkel legte die Hand auf den pendelnden Bleistift und stoppte ihn.
    »Mama ging schließlich mit mir raus, damit ich spielen konnte«, fuhr Viktor fort. »Anschließend im Wirtshaus gab es dann die größten Stücke Käsekuchen mit Rosinen, die ich je gesehen habe.«
    »Können wir jetzt?«, fragte Wolfgang Anders.
    »Wie? Oh, ja, ja klar. Ich meinte nur. Weil du gefragt hattest.«
    Sein Onkel reichte ihm ein Paar Latexhandschuhe, selbst streifte er sich zwei übereinander über. Er drehte sich zu Viktor und schaute ihn an. Der hob den Daumen. Mit einer geübten Bewegung betätigte der Onkel den Griff, öffnete die Tür des Kühlfaches und zog eine Bahre heraus. Leicht und lautlos fuhr sie zwischen sie. Die Neonbeleuchtung knisterte einen Moment.
    »Also, das …«, begann Viktor. Dann stieg ihm sein Abendessen in die Kehle. Mit Mühe würgte er den Braten ein zweites Mal hinunter.
    Wolfgang Anders stand reglos da, den Kopf gesenkt in überdeutlich demonstrierter Andacht. Bastard, dachte Viktor und wischte sich über den Mund. Elender Bastard.
    »Okay«, sagte er. Er atmete vorsichtig ein, und wieder aus, ein und aus. Das funktionierte schon einmal. Dann unauffällig die Schultern lockern, Kopf kreisen. Der leichte Schwindel ließ nach. »Na gut, kümmern wir uns um die schmutzigen Details.«
    Als er sich das junge Mädchen näher ansah, stellte er fest, dass Tote eindeutig nicht so aussahen wie lebende Menschen, auch nicht wie solche, die schliefen. Sie wirkten eher wie eine schlechte Kopie, als wären sie aus einem anderen Stoff gemacht, menschlichem Fleisch flüchtig ähnlich, aber grober, fester, schwerer. Und als hätte irgendetwas die Konturen verzerrt, nicht bis zur Unkenntlichkeit, aber doch so, dass man das Gefühl hatte, hier war ein Pfuscher am Werk gewesen, der es nur so in etwa hingekriegt hatte, einen Menschen zu formen. Auch die Haut sah anders
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