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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer
Autoren: T Korber
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zu dem einige Stufen hinaufführten. Dort wollte er hin. Als er diesen Entschluss gefasst hatte, lächelte Tobias und setzte seinen Fuß auf die Straße.
    »Ach, Sie sind es«, sagte Viktor, als Dorota Szymborska ihm öffnete. Sie trug rosafarbene Gummihandschuhe, an denen der Schaum haftete. »Mit Ihnen wollte ich sprechen.«
    Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Abspülen«, sagte sie und hob entschuldigend die Hände.
    »Gehen wir doch in die Küche.« Viktor schloss die Tür hinter sich und folgte Dorota, die sich zögernd nach ihm umsah.
    »Ist noch etwas wegen Beerdigung? Frau Bulhaupt nicht da, und ich …« Sie war am Spülbecken angekommen und wollte in das Wasser greifen, hielt aber inne, als Viktor das Foto herauszog.
    »Deshalb«, sagte er auf Polnisch, »wollte ich mit Ihnen sprechen, Dorota. Das gehört doch Ihnen, nicht wahr?« Er legte das Bild neben sie auf die Arbeitsplatte. Das kleine Mädchen mit den schmutzigen Knien schaute zu ihnen beiden hoch.
    »Ich …«, sagte sie und schluckte.
    Nach Gutsherrenart, klang es Viktor im Ohr. Er sah, wie sie mit den Tränen kämpfte, und bekam Mitleid mit der jungen Frau. Sanft legte er ihr die Hand auf die Schulter. »Ist ja gut. Dorota …«
    Mit einer schnellen Bewegung zog sie aus dem dichten Schaum des Beckens eine Pfanne und schlug sie ihm über den Kopf.
    Viktor roch eine Mischung aus Fett und Zitrone. Er spürte noch das schmutzige Wasser in den Kragen seines Poloshirts tropfen, dann sank er langsam zu Boden.
    Das Hupen der Autos und das Reifenquietschen ließen langsam nach. Tobias scherte sich nicht darum und auch nicht um die Schimpfworte, die aus heruntergekurbelten Fenstern gerufen wurden, er konnte sie ohnehin nicht vom Rest des Lärms unterscheiden. Am Wasserbecken angekommen, zog er entzückt Schuhe und Strümpfe und nach kurzem Überlegen auch die Hose aus. Er mochte es nicht, wenn nasse Kleidung an seiner Haut anlag. Dann stieg er in das Becken. Es war kalt, aber die stete Bewegung, immer im Kreis herum, gab ihm Sicherheit, und er begann sich zunehmend wohl, ja glücklich zu fühlen.
    Rundherum, rundherum. Viktor plantschte wie in Trance und stakste mit seinen bleichen, schwarz behaarten Beinen durch das Wasser, auf dem Blütenpollen und Plastikabfälle trieben. Immer mehr Leute wurden auf den seltsamen Mann aufmerksam und versammelten sich um den Brunnen.
    Viktor schlief. Viktor schwebte. Hinein in eine große Dunkelheit. Auf einmal wusste er, wohin die Finsternis ihn führte. Er versuchte, sich zu wehren, versuchte, den Kopf zu schütteln und »Nein« zu rufen, die Arme zu heben und das abzuwehren, was da auf ihn zukam. »Sensei«, murmelte er, »Sensei«. Erinnern, Nichterinnern, murmelten Stimmen in ihm, alles hatte seinen Sinn. Er zog die Beine an, wollte fort von dem Ort, den sein Gedächtnis ihm zeigte. Wollte zurück an die Oberfläche des Lebens. Ruderte wie ein Ertrinkender. Doch es nutzte nichts. Er kannte die Treppe, er kannte den Tunnel. Er kannte die Tür. Und auch den Lichtstreifen unter ihr. Er kannte die nackten Kinderfüße auf dem Linoleum, die seine eigenen waren.
    Die Tür war angelehnt gewesen, und er hatte sie aufgedrückt, er hatte keine andere Wahl. Alles, wonach er gesucht hatte, wovor er geflohen war, lag nun vor ihm. Er sah die Lampe, die ihren Schein um alles warf, behütend und enthüllend zugleich. Sein Vater war da, der böse Zeremonienmeister. Er stand hinter der Liege. Und dort lag Hannah. Ihr nackter Körper war feucht. Er schimmerte, leuchtete, strahlte und verbrannte Viktors Augen. Er schrie. »Hannah!«
    »Was hat er gesagt?«, fragte jemand.

40
    Eine Gruppe Jugendlicher erhob sich von ihrer Parkbank und kam langsam schlendernd und mit Bierdosen in den Händen näher. Mit schräg gelegten Köpfen betrachteten sie das Schauspiel. »He, was bist du denn für einer?«
    Tobias ging im Kreis. Er balancierte, er tanzte. Er war glücklich. Er war schön. Seine Hände flatterten entzückt. Noch immer sang er.
    »He, kannst du nicht antworten, oder was?«
    »Der denkt, er ist ein Radio.«
    »Der denkt, er kann hier Striptease machen.«
    »Ist der besoffen, oder was?«
    Ein Rentner stampfte mit seinem Schirm auf, unentschlossen, was er empörender finden sollte, die jungen Leute mit den gefärbten Haaren und den Piercings oder den Halbnackten im Brunnen.
    Ein Mann hielt seine Vierjährige stramm an der Hand und verbat dem greinenden Kind, sich ebenfalls ins Wasser zu stürzen. »Holt gefälligst euren Kumpel da
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