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Geliebte Gefangene

Geliebte Gefangene

Titel: Geliebte Gefangene
Autoren: NICOLA CORNICK
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seiner selbst bewusst – und Annes. Nie zuvor hatte eine Frau ihn so angesehen. Die anderen hatten ihn mit Wohlgefallen, Lust oder auch Berechnung betrachtet, aber niemals so kühl gemustert, gleichsam von Soldat zu Soldat. Er fühlte, wie sie versuchte, seinen Mut, seine Kühnheit einzuschätzen. Entschieden straffte er die Schultern und erwiderte ihren Blick, ohne ihm auszuweichen.
    Die vier Jahre hatten sie unwiederbringlich verändert. Der Bürgerkrieg hatte ihnen all das Schöne und Neue, das sie einst gemeinsam erlebt hatten, genommen und es wie die Leben und Hoffnungen Tausender anderer zerstört. Als er vor Jahren nach Grafton gekommen war, war es auf Wunsch seines Vater geschehen und um eine dynastische Ehe zu schließen. Er hatte nicht erwartet, sich zu seiner zukünftigen Braut hingezogen zu fühlen. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren hatte er sich für einen abgeklärten Mann von Welt gehalten, und dass er Anne so unwiderstehlich gefunden hatte, war überraschend und verwirrend gewesen. Er hatte sie begehrt. Und er war mehr als nur verliebt in sie gewesen.
    Dann war der Krieg ausgebrochen, und er hatte sich auf die Seite der Parlamentarier gestellt. Der König hatte die unverzügliche Auflösung der Verbindung angeordnet, und später hatte er Anne mit Gerard Malvoisier verlobt.
    Unterdessen war viel Zeit vergangen, aber es hätten ebenso gut nur Monate, nicht Jahre sein können, so deutlich stand ihm noch alles vor Augen. Und nun war sie hier – Anne Grafton –, und das noch schlafende Feuer, dass er vor all den Jahren bei einem Kuss in ihr gespürt hatte, brannte nun heiß und hell genug, um einem Mann den Verstand zu rauben. Er fragte sich, was diese Flamme entfacht hatte, und erinnerte sich dann daran, dass in den Jahren des Bürgerkriegs Verlust und Schmerz jeden Mann, jede Frau, jedes Kind im Königreich getroffen hatten. Im Angesicht dieses Leids hatte sich niemand seine Unschuld bewahren können. Jeder musste kämpfen, um zu überleben.
    Anne trat näher an ihn heran, hob das Kinn und sah ihm in die Augen. Er war über sechs Fuß groß, und ihr Kopf reichte nur bis zu seiner Schulter. Dennoch hatte sie nicht das Gefühl, ihm nicht ebenbürtig zu sein, und sie sprach ihn von gleich zu gleich an. „Guten Abend, Lord Greville. Ich bin gekommen, weil ich mit Euch reden wollte.“
    Ihre Stimme war sanft, aber mit einem harten Unterton. Sie bettelte nicht, bat nicht um seine Aufmerksamkeit, sondern forderte sie selbstverständlich mit dem Gebaren einer Königin. Als Simon ihr jedoch genauer ins Gesicht sah, entdeckte er die Linien, die die Erschöpfung und die Anspannung um ihre Augen gezeichnet hatten. Es war Verzweiflung, die sie vorwärtstrieb, nicht trotziges Aufbegehren oder Zorn. Sie war kurz davor zusammenzubrechen.
    Simon verschloss sein Herz gegen das Mitgefühl, das sich wie ein Verräter in ihm regte. Er wollte nicht mit ihr sprechen und wünschte, sie wären sich nie zuvor begegnet und dass sie in seinen Gedanken nicht immer noch das Mädchen wäre, das sie einmal gewesen war. Denn es war zu spät – zu spät für Bedauern, zu spät für Mitleid. Sie standen jetzt auf entgegengesetzten Seiten. Er wusste, dass sie um die Leben der unschuldigen Bewohner Graftons bitten wollte, doch er konnte es sich nicht leisten, sich deren Geschichten anzuhören. Bei jeder Belagerung gab es hilflose Opfer, Menschen, die ohne ihr Zutun und ohne eigene Entscheidung in den Kampf verwickelt wurden. Es war brutal, aber der Krieg machte keine Unterschiede. Obwohl Simons Ruf auf Recht und Gerechtigkeit beruhte, war er ebenso als harter Soldat bekannt. Und er würde auch jetzt nicht nachgeben.
    Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sah zu den zwei Wachen hinüber, die bei der Tür stehen geblieben waren und sich bei dem Gedanken, Hand an eine Dame zu legen, offensichtlich unwohl fühlten. Zögernd erwarteten sie seine Befehle. Auch dem im Hintergrund wartenden Guy Standish war deutlich anzusehen, wie unglücklich ihn die Situation machte. „Ich werde nicht mit Euch sprechen“, sagte Simon schließlich und wandte sich zu den Wachen um. „Layton, Carter, begleitet Lady Anne hinaus.“
    Niemand rührte sich. Die Soldaten blickten ihn nur gequält an und traten unruhig von einem Fuß auf den anderen.
    Ein leichtes Lächeln umspielte Annes Lippen. „Eure Männer wissen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, mich loszuwerden. Sie müssten mich hinaustragen“, sagte sie trocken. „Und sie scheinen seltsam
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