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Geliebte Gefangene

Geliebte Gefangene

Titel: Geliebte Gefangene
Autoren: NICOLA CORNICK
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wegschicken würde, und sei es nur aus Höflichkeit. Auch wenn sie jetzt auf verschiedenen Seiten standen, widerstrebte es ihm doch zutiefst, einer Lady – selbst einer Royalistin – mit etwas anderem als Respekt zu begegnen. Außerdem hatte er vor vier Jahren in einer friedlicheren Zeit, bevor dieser blutige Bürgerkrieg sie trennte, um Lady Anne geworben. Es gab Erinnerungen, Versprechen waren gemacht worden, die er selbst jetzt nicht einfach beiseiteschieben konnte.
    Aber sie befanden sich nun einmal im Krieg, und ihm stand der Sinn nicht nach Ritterlichkeit. Dafür hatte der brutale Tod seines Bruders unter den Händen von Malvoisier gesorgt. „Ich will sie nicht sehen. Schickt sie fort.“
    Gequält sah Standish ihn an. Trotz der Eiseskälte stand Schweiß auf seiner Stirn. „Aber, Mylord …“
    „Ich sagte, schickt sie fort.“
    Ein Stück entfernt hörte man das Klirren von Waffen und den Klang von aufgeregten Stimmen. Es folgten vom Schnee gedämpfte Schritte, die schnell näher kamen.
    „Madam!“, hallte die laute Stimme eines Wachpostens. „Ihr könnt da nicht hineingehen!“
    Aber es war schon zu spät. Die Stalltür wurde weit aufgerissen, und Lady Anne Grafton stürmte an Guy Standish vorbei in den Raum. Schnee wirbelte um ihre Füße, und das Feuer flackerte zischend auf.
    Anne schlug die Kapuze ihres Mantels zurück und funkelte Simon herausfordernd an. Unter ihrem pelzbesetzten Mantel trug sie ein dunkelblaues Kleid, und ihr Aussehen entsprach von Kopf bis Fuß dem einer hochwohlgeborenen Dame. Ihr Gesicht war blass, und ihr Haar floss nachtschwarz um ihre Schultern. Sie wirkte wie eine aus einem Märchen entsprungene Kreatur aus Feuer und Eis.
    Simons Herz tat einen Satz, und er hatte das Gefühl, einen Moment keine Luft mehr zu bekommen. Er hatte Anne Grafton seit vier Jahren nicht mehr gesehen, denn ihre Verlobung war beinahe so schnell wieder gelöst worden, wie sie geschlossen worden war. Neben sich hörte er Standish scharf Luft holen, als ob auch er Schwierigkeiten damit hatte, ruhig und gelassen zu atmen. Jeder Mann, der Grafton belagerte, hatte die Geschichten über die legendäre Schönheit der Herrin des Guts gehört, aber trotzdem war ihr Anblick, jetzt wo sie direkt vor ihnen stand, genug, um ihnen buchstäblich den Atem zu rauben.
    Sie war durchaus keine gefällige Schönheit. Anne Grafton war klein und grazil, doch es umgab sie eine aristokratische Aura, die den ganzen Raum erfüllte. Ihr Gesicht war herzförmig geschnitten, mit hohen Wangenknochen und geschwungenen schwarzen Brauen. Ihre Augen waren sehr dunkel, nur wenige Nuancen heller als ihr rabenschwarzes Haar, das über den Rand ihrer Kapuze fiel, und es glühte ein heißes Feuer in ihnen, das Simon an eine Wildkatze erinnerte. Anne war keine Frau, die einem Mann ohne Widerspruch in die Arme fallen würde.
    Am Anfang der Belagerung hatte Simon seine Männer scherzen hören, dass sie die wilde Schönheit der Herrin von Grafton zähmen wollten. Sie hatten leise gesprochen, wohl wissend, dass er jede Anzüglichkeit und Andeutung von Liederlichkeit in der Truppe sofort unterdrücken würde. Zudem wussten sie, dass Anne ihm einst versprochen worden war. Jetzt sah er dieselben Soldaten, die zuvor so geprahlt hatten, unruhig mit den Füßen scharren. Sie alle waren gebannt von Annes Schönheit, aber ihre stolze und herausfordernde Haltung verunsicherte sie sichtlich. Keiner der Wachen unternahm irgendwelche Schritte, sie zu ergreifen, und Standish sah so aus, als würde er sich lieber die Zunge abbeißen, als sich ihr entgegenzustellen. Fast stahl sich ein Lächeln auf Simons Lippen. Die Anne Grafton, die er gekannt hatte, war ein unschuldiges Mädchen von siebzehn Jahren gewesen. Die Frau, die jetzt vor ihm stand, war ein vollkommen anderer Mensch – und ein würdiger Gegner.
    Aber dann sah er, wie Anne ihre behandschuhten Hände gegeneinanderdrückte, um ihr Zittern zu verbergen. Die Erkenntnis erschütterte ihn tief. Sie zitterte, nicht vor Kälte, sondern vor Aufregung, vielleicht sogar vor Angst. Dieser Anflug von Verletzlichkeit ließ ihn einen Moment zu lange zögern. Er hatte sie ohne ein weiteres Wort wegschicken wollen, doch dazu war es jetzt zu spät.
    „Madam.“ Er verbeugte sich leicht vor ihr. „Ich bedaure, dass meine Wachen Euch passieren ließen. Es war keine kluge Entscheidung, heute Nacht hierherzukommen.“
    Anne sah ihn aufmerksam und abwägend an, und Simon war sich unter ihrem Blick plötzlich sehr
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