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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers
Autoren: Marjorie M. Liu
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Licht zu sehen. Das setzte das Leben in die richtige Perspektive, beruhigte ihn, fast wie Zen-Meditation. Und er konnte etwas Ruhe gebrauchen, sehr sogar.
    Seine ziellose Wanderung hatte ihn zu dem gewaltigen Blumenarrangement in der Nähe des Hoteleingangs geführt, einem Dickicht aus Orchideen und wilden Lilien, aus feuchten Farnen und Schlingpflanzen. Dazwischen schwebten andere, feinere Blüten wie kleine Feen. Dean hörte Gelächter. Von Frauen mit tiefen, heiseren Stimmen, die warm wie Whisky waren und genauso warm brannten. Er spähte um das Blumenarrangement herum und sah kurze Röcke, lange honigbraune Beine, falsche Brüste, fantastisch gestyltes Haar. Einige der Gesichter waren auch ganz nett. Sechs hochklassige Frauen, deren Lippen auf Hochglanz geschminkt waren, klammerten sich an die Arme eines großen Mannes, der ganz in Weiß gekleidet war. Eine weiße Leinenhose, ein weites weißes Leinenhemd und langes weißes Haar, das ein blasses, wie gemeißelt wirkendes Gesicht umrahmte, in dem die Augen hinter einer verspiegelten Sonnenbrille versteckt waren. Das Haar war zweifellos gefärbt. Ein Diamant funkelte in einem Ohr. Die Frauen wirkten, als wären sie bereit, ihm seinen Hosenschlitz aufzureißen und ihn wie einen fetten, saftigen Hirsch auf der Stelle zu erlegen. Es muss nett sein, so begehrt zu werden, dachte Dean.
    Der Mann in Weiß lächelte die Ladys an, zeigte dabei aber nicht seine Zähne; seine Lippen verzogen sich einfach immer weiter, bis er wie die Rockstar-Version eines Albinoclowns wirkte. Das war sehr verstörend. Und äußerst vertraut. Dean erkannte ihn; er hatte diese fahle Visage auf einer Werbetafel am Flughafen gesehen, auf den Titelseiten der Magazine, im taiwanesischen Fernsehen und auf einem Musikvideo, das nachts in einem Supermarkt spielte. Er war der neue heiße Tamale, der coolste Mann in der Stadt. Immer in Weiß, immer mit dieser Brille und diesem verdammten Grinsen, das sein Gesicht zu einem Stirnrunzeln zerriss, das auf dem Kopf stand.
    Bai Shen. Der Weiße Gott. Sänger, Model, Playboy. Der lief nicht Gefahr, einen Abend allein verbringen zu müssen. Mistkerl!
    Dean ging langsam zur Glastür und musterte Bai Shen und das Spektakel um ihn herum. Für einen Augenblick hatte er den Eindruck, dass er durch diese verspiegelte Sonnenbrille ebenfalls beobachtet wurde. Und zwar mit einer Intensität, die die plötzliche Veränderung des Lächelns erklären würde, das von einer Clownsgrimasse auf einmal zu einem gequälten Strich abflachte.
    Merkwürdig. Und es gefiel Dean überhaupt nicht.
    Du wirst paranoid. Er ist ein Weichei, ein kleiner Junge, der dich im schlimmsten Fall für Abschaum hält. Er ist kein verfluchter Psychopath mit pyromanischen Neigungen. Das ist einfach nur verrückt.
    Schon möglich. Aber trotzdem ging es Dean gegen den Strich, und er hatte kein Problem damit, diesen Blick hinter den Spiegelgläsern zu erwidern. Pure Sturheit, Trotz, eine Kindheit zwischen den Stahlarbeitern Philadelphias, mürrischen Hundesöhnen, die hart schufteten, noch härter tranken und diesen Möchtegernrockstar-Albino mit einem einzigen Ausspucken und einem finsteren Blick in Toilettenpapier verwandeln könnten.
    Bai Shen sah zuerst weg. Er drehte den Kopf zur Seite und sagte etwas zu einer der Frauen an seinem Arm. Ein billiger Schachzug. Dean lächelte und verließ das Hotel.
    Die schwüle Luft traf ihn wie ein Schlag; die Hitze schien in seine Lungen zu dringen, zusammen mit den Abgasen, dem Smog, dem Geruch von feuchtem Zement, Schmieröl und dem schwachen Aroma einer offenen Kanalisation. Taxifahrer beugten sich aus ihren Fenstern, spuckten abwechselnd Betelnuss-Saft aus oder pfiffen.
    Dean ignorierte sie. Der letzte Tatort war nur zehn Minuten entfernt; er konnte ihn locker zu Fuß erreichen. Er war schon tagsüber dorthin gegangen, aber um neun Uhr morgens war die Gegend zu belebt. Überall liefen Cops herum, trauerten Familien, gab es lärmende Nachbarn und Journalisten, die mit ihren Mikrofonen herumfuchtelten. Deshalb hatte er es vorgezogen, ins Hotel zu gehen, hatte etwas gegessen und geschlafen. Er wollte es noch einmal versuchen, wenn sich die Lage etwas beruhigt hatte.
    Na klar, toller Witz.
    Wolkenkratzer hoben sich wie scharfe, hohe Nadeln gegen den Nachthimmel ab, gegen die gelben Wolken, die das Licht reflektierten. Hier unten wurden die Straßen schmaler, die Geschäfte veränderten sich; auf Hochglanz polierte Schmuckstücke von nüchterner Schönheit wichen
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