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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers
Autoren: Marjorie M. Liu
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allmählich bunten Nischen, die mit Modeschmuck, trendigen Abfallprodukten und lauter Musik vollgestopft waren. Betelnuss Verkäuferinnen, in glitzernde Fetzen von Nichts gekleidet, trippelten auf fünfzehn Zentimeter hohen Keilabsätzen über die Straße, riefen den Taxifahrern etwas zu und schwenkten die Körbe in ihren Händen, während sie Dean misstrauische Blicke zuwarfen, als er an ihnen vorbeiging. Jederzeit bereit, ihn in den Hintern zu treten, wenn er sie anmachte. Er hätte ihnen gern gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen mussten. Er wusste, dass sie keine Prostituierten waren. Aber er begnügte sich damit, sie einfach nicht anzusehen. Das war zwar nicht leicht, angesichts der vielen Haut, die sie zeigten, aber so ordinär war er eben auch nicht.
    Außerdem war er nicht allein. Eine Krähe schrie über ihm, sank herab und streifte seinen Scheitel mit der Spitze ihres Flügels. Dean bemerkte das Blitzen eines goldenen Auges, das wie eine kleine Sonne funkelte. Dann blinzelte die Krähe und verschwand in der heißen Nacht wie ein Geist, ein fliegender Schatten. Dean unterdrückte einen Ruf. Er hätte den Vogel gern zurückgeholt, ihm ein Zeichen gegeben, ihm gesagt, dass es langsam Zeit wurde für Worte und die menschliche Gestalt statt nur für Blicke und Schwingen. Er musste mit jemandem über das reden, was gerade passiert war. Er musste sie warnen. Seine Verstärkung brauchte ebenfalls Verstärkung, denn wenn der Killer Dean festgenagelt hatte ... das bedeutete nichts Gutes. Aber es wäre noch schlimmer, wenn er sich jetzt zum Narren machte, indem er versuchte, die Aufmerksamkeit des Vogels zu erregen. Denn damit würde er die Blicke der anderen nur auf den Vogel lenken. Und das wollte Dean nicht riskieren. Außerdem würde Koni ihn wiederfinden, wenn er etwas Nützliches gehört hatte. Bis dahin galt: je mehr Abstand, desto besser.
    Schweiß rann über seinen Körper. Die Jacke war viel zu warm, aber er brauchte sie, um die Riemen unter dem Hemd zu verbergen. Das Leder rieb gegen die Schnittwunde, die immer noch pochte. Er versuchte den Schmerz zu ignorieren. Versuchte, nicht an Feuer, an Asche zu denken ... Nachdem er eine Minute mit sich gekämpft hatte, gab er auf. Er zwang sich, die Erinnerung zu akzeptieren, beschwor sie immer und immer wieder herauf, untersuchte jede Einzelheit, jede Empfindung, das Züngeln des Feuers auf seinem nackten Körper. Wenn er an sich selbst dachte, stiegen die Bilder der Toten unwillkürlich in ihm empor, der letzten Toten. Momente des Todes und des Sterbens. Es waren ruhige Morde gewesen, ohne Kampf. Andere Männer, die in Flammen aufgingen. Dean zwang sich, die Ausschnitte und Fragmente der Leben zu durchleben, die er während seiner kurzen Aufenthalte an den Tatorten in sich aufgesogen hatte.
    Nur gut, dass sein Magen leer war! Und es war auch gut, dass er besser die Gegenwart als die Vergangenheit sehen konnte. Er wusste nicht, wie oft er diese Tode schon gesehen hatte, aber ganz bestimmt zu oft. Jemand musste zusehen, irgendjemand, gleichgültig wer, weil diese Menschen allein mit ihrem Mörder gewesen waren, als sie gestorben waren, ohne jeden Ausweg, ohne Ansage oder Warnung. Und jetzt gab es wenigstens noch ein Augenpaar, einen Zeugen, der sagen konnte: Ich sehe. Ich sehe, und ich werde dem ein Ende bereiten. Das verspreche ich.
    »Ich verspreche es«, murmelte Dean, während er tiefer in sich versank, seinen Verstand an seiner Erinnerung rieb, an den Resten von Haut, Blut und Traum. Fünfzehn Menschen waren verloren, und nichts war von ihrem Leben übrig geblieben bis auf die Reste eines Feuers, das ihre Leichen zu schwarzer Asche verbrannt hatte, ohne ihre Wohnungen auch nur anzutasten.
    Das ist unmöglich!, behaupteten die örtlichen Behörden. Keine Brandbeschleuniger, keine Hitzequellen, keine Zeugen, die Explosionen, Schreie oder Stimmen durch die Wände gehört hätten. Der einzige Hinweis, die einzige Beobachtung in dieser Woche des Todes kam von einer alten Frau, der Nachbarin eines der frühen Opfer, die berichtet hatte, sie hätte ein fauchendes Geräusch gehört, als sie auf ihrem Balkon stand. Ein Fauchen, wie man es hören kann, wenn man ein Streichholz anreißt, das Zischen, bevor die Flamme kommt. Nur lauter. Viel lauter.
    Zündung. Feuer. Lautlos bei lebendigem Leib verbrennen, in einer Hitze wie in einem Krematorium. Nicht nur durch Funken oder eine fallen gelassene Zigarette. Kein versehentlich weggeworfenes Zündholz. Und auch nicht, wie
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