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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers
Autoren: Marjorie M. Liu
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wurde wie eine Insel von den etwas heruntergekommenen, gemütlichen Wohnvierteln umringt; Wege und Gassen durchschnitten das Gebiet wie dunkle Adern. Das Mietshaus, der Tatort, erhob sich mattgrau an der Ecke einer Gasse, weit entfernt von dem Prunk und Glitter. Dicke Kabelstränge — Strom-, Telefon- und Fernsehkabel — hingen an seinen Wänden herunter, schwangen um Balkone herum, um Fenster und Satellitenschüsseln.
    Dean wollte sich gerade an die Arbeit machen, als ihn etwas Kleines und Hartes am Kopf traf. Er schlug die Hand auf seinen Schädel, drehte sich herum und sah sich suchend um. Seine Vision änderte sich, zum Teil jedenfalls: Fleisch mischte sich mit summender Energie. Und direkt vor sich, tief in einem schmalen Spalt zwischen zwei Gebäuden, bemerkte er einen goldenen, summenden Faden, der wie elektrischer Strom durch die Schatten zuckte. Er trat näher, drängte sich durch herumhüpfende Teenager und schickte seine Sinne aus. Sie stießen auf jemand Bekannten.
    Dean änderte seine Vision erneut, bewegte sich zurück zur Wahrnehmung der realen Welt. Er blinzelte, aber die Dunkelheit verbarg den Versteckten vollkommen. Dean zögerte. Ein weiterer Stein flog aus der Gasse. Ein kleiner Stein, der ihn schmerzhaft in den Lenden traf.
    »Hundesohn!«, knurrte Dean und trat vom Bürgersteig in den Schatten, den scharfen Gestank nach Urin ignorierend. Das Licht reichte nicht aus; einen Moment lang war Dean blind, und dann ... etwas bewegte sich im Schatten. Er sah ein schmales männliches Gesicht, umrahmt von einer schwarzen Mähne. Ein spitzes Kinn, vorstehende Wangenknochen, eine schmale Nase. Goldene Augen, hell und nicht menschlich. Gebräunte Haut, über die sich auf Hals und Armen etwas Weiches, Schwarzes wellte.
    Federn. Weiche Federn. Sie verschwanden innerhalb eines Herzschlags wie ein Traum. Es war außergewöhnlich, unheimlich und nicht von dieser Welt. Wie so ziemlich alles in Deans Leben.
    Etwas Scharfes presste sich gegen seine Rippen.
    »Schätzchen«, sagte Dean. »Nicht in der Öffentlichkeit. Du weißt doch, wie schüchtern ich bin.«
    Die Messerspitze grub sich tiefer in seine Haut. »Du bist ein echter Mistkerl, Dean, weißt du das?«
    »Meine Mutter hat es in die Geburtsurkunde eintragen lassen.« Dean schob das Messer zur Seite. »Hallo? Respektier bitte meine Privatsphäre. Keine scharfen Gegenstände in der Umgebung meiner Zehen! Das macht meine Blase ganz nervös.«
    »Dann wirst du wohl gleich in die Hose machen.« Koni verlagerte sein Gewicht und ließ das Messer mit einem kurzen Schlenker seines Handgelenks in der weiten Tasche seiner schwarzen Leinenhose verschwinden. Sein weißes Tanktop war von Löchern übersät, die Arme bedeckten Tätowierungen. Dean fragte sich, wo er wohl die Klamotten herhatte. Soweit er wusste, hielt Koni nicht viel davon, Kleidung einzupacken oder überhaupt zu besitzen. Nicht mal Unterwäsche. Was auf eine gewisse verdrehte Weise durchaus plausibel war. Trotzdem, das alles wollte er gar nicht wissen.
    »Du bist eben im Sturzflug über mich hingesaust. Was gibt es?«
    »Planänderung. Hinter dir, auf der Straße. Ein paar Männer beobachten dich, und ich glaube nicht, dass sie mit Gänseblümchen bewaffnet sind. Sie folgen dir seit dem Far Eastern Hotel.«
    Das war ein Tiefschlag, und Deans Magen brannte. »Man ist mir gefolgt?«
    »Wie einem großen, dummen blonden Trottel. Aber wenn du dich dann besser fühlst: Sie sind wirklich gut. Ich hätte sie vielleicht auch übersehen, wenn ich nicht in der Luft gewesen wäre.«
    Das war nur ein kleiner Trost. Dean warf einen Blick auf die Straße, musterte die Gesichter der wogenden Menge. Nach einer Weile bemerkte er zwei Männer, die vor dem schiefen Eingang einer Chic-Reis-Suppenküche standen. Sie gehörten ohne jeden Zweifel nicht zu den Jugendlichen; die beiden Männer sahen in ihren schneidigen Uniformen wie Zwillinge aus: karierte, kurzärmelige Hemden, schwarze Hosen, weit hochgezogen; Männerhandtaschen aus dunklem Leder. Sie beobachteten ihn, starrten ihn förmlich an. Ihre Blicke waren unmissverständlich. Sie wussten genau, wer er war, und bemühten sich nicht einmal, das zu verbergen.
    Ja. Es würde eine großartige Nacht werden. Dean spielte kurz mit dem Gedanken, sich zu erschießen. Dann hatte er es aber hinter sich.
    »Da drüben«, meinte er. »Das seltsame Pärchen.«
    »Genau.« Koni stieß sich von der Wand ab. Von der ratternden Klimaanlage über ihm tropfte Wasser auf seinen Kopf.
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