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Geisterstadt

Geisterstadt

Titel: Geisterstadt
Autoren: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
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Tante Mathilda«, sagte Onkel Titus, der wie viele Menschen nur ungern auf einen Anrufbeantworter sprach und sich dann immer etwas unbeholfen ausdrückte. »Mathilda wollte den ganzen Nachmittag zu Hause sein. Ich habe es schon drei Mal versucht. Justus oder ein anderer von euch, wenn ihr kommt, ruft hier bei Mr Eagleburger an.« Es klickte in der Leitung. Justus ließ den Hörer langsam auf die Gabel gleiten und fuhr sich durch seine kurz geschnittenen Haare. Auf einer Kartonkarte an der Wand waren verschiedene Nummern aufgeführt. Eagleburger: 562–786.
    Der Antiquitätenhändler meldete sich sofort. »Hier spricht Justus Jonas«, Justus zögerte kurz, »ich bin auf der Suche nach meinem Onkel Titus. Ist er noch bei Ihnen?« Die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung verneinte. Vor einer guten Stunde sei er aufgebrochen, ziemlich aufgeregt, weil er seine Frau nicht habe erreichen können.
    »Danke«, murmelte Justus und legte auf. Mechanisch wählte er Bobs Nummer. Mrs Andrews war am Apparat. Auch sie wusste nichts von Tante Mathilda und holte ihren Sohn ans Telefon.
    »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte Bob seinen Freund, »ich fahre bei Peter vorbei, und wir kommen zu euch.«
    Ratlos sah sich Justus im Flur um. Seit er ein kleiner Junge war, lebte er bei Tante Mathilda und Onkel Titus. Einmal, ging es ihm plötzlich durch den Kopf, hatte sie ihn nicht vom Kindergarten abgeholt. Er hatte gedacht, sie komme nie mehr wieder. Und ein anderes Mal war er im Drugstore zwischen den hohen Regalen verloren gegangen. Ganz laut hatte er nach seiner Tante geschrien, bis sie endlich zwischen den großen Gurkenfässern wieder aufgetaucht war.
    Quietschende Bremsen rissen ihn aus seinen Gedanken. Er sprang zur Tür, aber noch ehe er sie erreichte, stürmte Onkel Titus herein.
    »Hallo, Junge«, sagte er mit ernster Miene, »ist Mathilda aufgetaucht?«
    Justus schüttelte den Kopf. »Sie hat den Braten vergessen«, begann er langsam.
    »Das ist doch jetzt das Geringste«, antwortete Onkel Titus und warf seinen Hut auf die Ablage.
    »Im Ofen vergessen, meine ich. Ganz schwarz ist er geworden, und die Küche war voll Rauch. Ein Geschirrtuch hatte schon fast …«
    »Waaas?« Onkel Titus riss die Augen auf, und sein schwarzer Schnurrbart zitterte. »Deshalb riecht es hier so komisch.« Er stutzte und fuhr nervös mit der flachen Hand über das ganze Gesicht. »Es ist irgendetwas passiert. Ich weiß genau, irgendetwas muss passiert sein.«
    »Komm erst mal in die Küche.« Justus zog ihn am Oberarm. Die Blumen lagen noch immer auf dem Tisch. Justus nahm ein Glas aus dem Schrank und wässerte sie ein. »Sie muss überstürzt aufgebrochen sein«, sagte er geschäftsmäßig. »Sonst hätte sie das Geschirr abgewaschen und ganz bestimmt das Fleisch aus dem Ofen genommen.«
    »Oder sie dachte, sie kommt gleich wieder«, fuhr Onkel Titus fort. Er hatte sich wieder etwas beruhigt. »Wir waschen erst mal das Geschirr ab«, schlug er vor.
    Mit einem traurigen Blick beförderte Onkel Titus Braten und Geschirrtuch in den Mülleimer. Dann machten sie sich gemeinsam über das schmutzige Geschirr her. Dabei sprachen sie kein Wort. Im Handumdrehen waren sie fertig.
    »Hast du Hunger?«, fragte Justus schließlich. Dieses Schweigen machte ihn nervös.
    Onkel Titus schüttelte den Kopf. »Und du?« Justus hatte zwar Hunger, empfand es aber als unpassend, zuzugeben, dass sein Magen ganz schön knurrte. Das Klingeln an der Tür ersparte ihm die Antwort. Mit einem lauten »Hallo« traten Bob und Peter ein. Sie begrüßten Onkel Titus mit Handschlag und ließen sich am Küchentisch nieder.
    »Riecht irgendwie seltsam bei euch«, stellte Peter fest.
    »Der Rinderbraten ist verkohlt«, antwortete Justus. »Tante Mathilda hat ihn im Ofen vergessen. Wenn ich später gekommen wäre –« Er beendete den Satz nicht.
    »Wollt ihr was trinken?«, wechselte Onkel Titus das Thema. »Ich mach’ uns einen Tee.« Er sah verstohlen auf die Uhr, dann nahm er den Teekessel vom Herd und setzte Wasser auf. »Das passt gar nicht zu Mathilda«, sagte er unvermittelt. »Deshalb mache ich mir auch solche Sorgen.« Er brach ab und zuckte mit den Schultern.
    Niemand sagte ein Wort, bis der Kessel pfiff. Onkel Titus fuhr richtig hoch.
    »Lassen Sie, Mr Jonas.« Bob stand auf und goss das kochende Wasser in eine Kanne. Dann stellte er vier Tassen auf den Tisch.
    »Vielleicht ist sie bei ihrer besten Freundin«, meinte Peter, dem die Stille unangenehm war.
    »Emily!«,
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