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Geisterschiff Vallona

Titel: Geisterschiff Vallona
Autoren: dtv
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man nicht viele Worte. Was sollte man auch sagen?
    Vor dem Hof des Bürgermeisters blieb Karl abrupt stehen. Wie verhext starrte er in den Garten der Schwarzen Sara. Überall
     blühten prächtige Herbstblumen in warmen Farben.
    Karl blieb der Mund offen stehen. Noch vor zwei Wochen hatte der Garten der Schwarzen Sara vertrocknet, grau und frostig kalt
     ausgesehen. Jetzt war er wie verwandelt, obwohl es schon Spätherbst war. Alles sah so unwirklich und gleichzeitig doch richtig
     aus.
    Karl spürte einen Stich von Trauer in der Brust. Sein Bild der Schwarzen Sara hatte sich vollkommen gewandelt, seit sie ihm
     ihre Geschichte erzählt hatte.
    »Jetzt komm schon«, sagte Großvater ein wenig ungeduldig. »Wir müssen zur Kirche.«
     
    Sie kamen als Erste an, denn Großvater wollte sich noch vorbereiten und die Orgel schon mal ein bisschen warm spielen, wie
     er sagte. Eiligverschwand Karl in der Sakristei. Er scherte sich nicht darum, dass er eigentlich gar nicht dort sein durfte. Er musste die
     Vallona sehen.
    Das Votivschiff hing genauso von der Decke wie damals, aber Karl merkte sofort, dass irgendetwas anders war. Das Schiff lebte
     nicht mehr. Es war nur noch ein Modell   –, genau wie die anderen.
    Noch einmal zog er den Schreibtischstuhl näher und kletterte hoch. Auch das Deck hatte sich verändert. Kein Putzeimer stand
     mehr herum und es waren auch keine Planken nass vom Scheuern.
    Das hier war nicht mehr dasselbe Schiff. Kein Fluch lag mehr darauf. Karl war sich zwar nicht sicher, was in dieser Nacht
     im Grauen wirklich passiert war, aber eines wusste er jetzt: Die Vallona und ihr Lotse hatten ihren Frieden gefunden.
    Der Schreibtischstuhl kippte und Karl verlor das Gleichgewicht, aber heute war er darauf vorbereitet und landete sicher auf
     beiden Füßen. Er wischte sich die Hände ab und versuchte, ein bisschen zu pfeifen, so wie es die Leute im Film immer tun,
     um dem Publikum klarzumachen, dass wahrlich keine Gefahr im Verzug ist.
    Da fiel sein Blick auf die Fotografie.
    Das Bild mit all den Menschen am Strand, unterhalb der Klippen. Er wusste jetzt so vielmehr über das, was damals geschehen war. Das hier waren alle Bewohner der Stadt, nachdem sie die Besatzung der Vallona geborgen
     hatten. Und da musste doch   …
    Langsam ließ Karl seinen Blick in die untere rechte Ecke wandern, in die Ecke, die das letzte Mal so fleckig gewesen war.
     Aber davon konnte keine Rede mehr sein. Das Bild war gestochen scharf, auch dort.
    Eine junge Frau mit schwarzem Hut lehnte sich an einen ebenso jungen Mann in Lotsenuniform. Er hob seine Hand und grüßte in
     die Kameralinse, grüßte den Betrachter des Bildes, grüßte Karl. Und in der erhobenen Hand hielt der Lotse ein Messer. Ein
     viel zu modernes Messer, in dessen Schaft ein Kompass eingelassen war.
    Im selben Moment, in dem Karl das Bild zurück auf den Schreibtisch stellte, merkte er, dass ihn jemand beobachtete. Plötzlich
     war es eiskalt in der Sakristei.
    »Was suchst du hier?!«, tönte eine tiefe Stimme. »Unglückseliger Bursche!«
    Karl fuhr zusammen und glaubte, sein Herz bliebe stehen. Aber dann erkannte er Saras Lachen und drehte sich um.
    »Ich habe nur darüber nachgedacht, ob wohl jemand vorhat, ein Votivschiff aufzuhängen, umdie beiden jungen Helden Sara und Karl zu ehren, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens   … na ja, was auch immer gerettet haben.«
    Sara wurde ernst.
    »Wusstest du, dass sie die Vallona jetzt raus in die Kirche hängen wollen?«, fragte sie.
    »Ja, ich habe davon gehört«, sagte Karl. »Heißt das, die Familienfehde ist beigelegt?«
    Sara zog eine Grimasse.
    »Ja, aber das will ich erst mal sehen   …«
     
    Es blieb immer noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Beerdigung und Karl und Sara gingen hinaus auf den Friedhof, an das offene
     Grab, das für den Sarg der Schwarzen Sara vorbereitet war. Schweigend standen sie nebeneinander.
    »Karl«, sagte Sara plötzlich. »Was glaubst du, warum passiert das alles ausgerechnet dir?«
    Überrascht sah Karl sie an.
    »Das habe ich mich auch schon gefragt«, murmelte er. »Ich verstehe es selbst nicht.«
    Sara lächelte geheimnisvoll.
    »Ich glaube, du bist etwas Besonderes   … Karl Dymling. Ich glaube, du bist auserwählt.«
    Dann ging sie langsam in Richtung Kirche zurück, aber Karl blieb noch am Grab stehen. Vorsichtig zog er die kleine Holzfigur
     aus derTasche. Er hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, sie Sara zu zeigen. Und jetzt fühlte sich dieser Teil
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