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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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aus, dann blendet uns das Licht vom Boot nicht mehr.«
    Er ging weiter, und Katrín und Garðar folgten ihm. Sie mussten größere Schritte machen als sonst, um mit dem kleinen, flinken Mann mithalten zu können. Genauso plötzlich, wie er losgegangen war, blieb er stehen, so dass sie ihn fast umgerannt hätten. Sie waren an der Stelle angekommen, an der die arme Líf hockte, deren Wangen wieder etwas Farbe angenommen hatten.
    »Ich glaube, ich muss nicht mehr kotzen«, sagte sie und versuchte kläglich, ihnen zuzulächeln. »Mir ist total kalt. Wann gehen wir rein?«
    »Bald«, antwortete Garðar ungewöhnlich kurz angebunden, fügte aber sofort etwas sanfter hinzu: »Versuch erst mal, wieder zu Kräften zu kommen.« Als Putti sie schwanzwedelnd begrüßte und an ihnen hochsprang, stieß er den Hund weg. Genervt klopfte er sich den Sand vom Hosenbein.
    Der Kapitän wandte sich an Garðar. »Wo ist denn nun das Haus? Können Sie es von hier aus sehen?«
    Katrín stellte sich neben die Männer, genauso gespannt wie der alte Kapitän. Obwohl sie Garðars Foto vom Dorf noch lebendig in Erinnerung hatte, war es schwierig, es mit dem realen Anblick in Einklang zu bringen. Die Ansammlung von zehn Häusern mit ein paar Schuppen daneben war weitläufiger, als sie es sich vorgestellt hatte, und sie war erstaunt, dass die Häuser so weit auseinanderlagen. Sie hatte gedacht, dass die Menschen in einer so isolierten Gemeinde lieber enger beieinander wohnen wollten, die Nähe der anderen spüren wollten, falls etwas passierte. Aber was wusste sie schon? Im Grunde hatte sie noch nicht mal eine Ahnung, wie alt die Gebäude waren. Vielleicht hatten die Leute große Gärten für ihr Vieh gebraucht oder um Gemüse und Kartoffeln anzupflanzen. Im Dorf hatte es bestimmt keinen Laden gegeben. Garðar entdeckte schließlich das Haus und zeigte darauf. »Da, ganz am Rand, auf der anderen Flussseite. Man sieht allerdings nur das Dach, die Tannen hinter der Anhöhe verdecken es ein bisschen.« Er ließ seinen Arm sinken. »Oder ist das etwa kein Pfarrhaus?«
    Der alte Kapitän schnalzte mit der Zunge und starrte auf das unschuldige Dach, das aus dem gelblichen Bewuchs des Hügels ragte. »Ach, dieses Haus hatte ich ganz vergessen. Nein, das ist kein Pfarrhaus. Das Kreuz auf der Tür hat nichts mit einem Pfarrer zu tun. Der frühere Bewohner hat auf den himmlischen Vater vertraut.« Er überlegte einen Moment und sagte dann: »Das Haus war lange unter dem Namen
Der letzte Anblick
bekannt. Man kann es vom Meer aus sehen.« Der Mann schien noch etwas hinzufügen zu wollen, schwieg aber.
    »Der letzte Anblick. Aha.« Garðar tat so, als lasse ihn das kalt, aber Katrín durchschaute ihn. Eines der Dinge, die ihn am meisten beeindruckt hatten, war, dass das Haus früher einen der wichtigsten Männer des Dorfes beherbergt hatte. »Ein Pfarrer wäre für einen so kleinen Ort natürlich auch ziemlich teuer gewesen.« Garðar ließ seinen Blick über die Häuser schweifen, die fast alle von ihrem Standort aus zu sehen waren – bis auf das Haus, das jetzt ihnen gehörte. »Gab es hier früher noch mehr Häuser? Ein paar sind doch bestimmt im Lauf der Zeit abgerissen worden.«
    »Doch, doch, das stimmt.« Der alte Mann hatte sich immer noch nicht zu ihnen umgedreht und wirkte ziemlich abwesend und nachdenklich. »Es gab noch mehr Häuser. Hier haben zwar nie viele Menschen gewohnt, aber einige haben ihre Häuser mitgenommen, von denen stehen nur noch die Fundamente.«
    »Sind Sie mal drin gewesen? In unserem Haus, meine ich?« Katrín hatte das Gefühl, dass der Mann ihnen irgendetwas verheimlichte. »Ist das Dach vielleicht einsturzgefährdet?« Ihre Phantasie reichte nicht aus, um auf andere Ideen zu kommen. »Wir sind doch im Haus sicher, oder?«
    »Ich bin noch nie in dem Haus gewesen, aber das Dach ist auf jeden Fall in Ordnung. Alle vorherigen Eigentümer haben das Haus anfangs immer fleißig ausgebessert. Sie fangen alle gut an.«
    »Anfangs?« Garðar blinzelte Katrín verschwörerisch zu und grinste. »Dann ist es wohl an der Zeit, dass sich jemand aufrafft und es zu Ende bringt.«
    Der Kapitän reagierte nicht auf Garðars Versuch, die Stimmung aufzulockern, kehrte der Häuseransammlung, die man kaum als Dorf bezeichnen konnte, den Rücken und machte Anstalten, wieder zum Steg zu gehen. »Ich hole noch schnell was aus dem Boot.« Katrín und Garðar blieben verwundert stehen und wussten nicht, ob sie auf ihn warten oder ihm folgen sollten.
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