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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Schließlich stapften sie hinter ihm her.
    »Wohin geht ihr? Lasst mich nicht alleine hier sitzen!«, rief Líf und kam mühsam auf die Füße.
    Katrín drehte sich im Gehen zu ihr um. »Wir sind gleich zurück. Du sitzt doch schon seit über einer halben Stunde alleine da, ein paar Minuten ändern auch nichts. Ruh dich aus.« Sie ließ Líf keine Gelegenheit zu protestieren, und beschleunigte ihren Schritt, um Garðar und den Kapitän einzuholen.
    Der Kapitän verschwand im Boot und erschien kurz darauf mit einer Plastikbox mit Kleinkram. Er holte einen Schlüsselbund mit einem normalen Hausschlüssel und einem zweiten, altmodischeren Schlüssel heraus. »Nehmen Sie zur Sicherheit die Schlüssel zum Gästehaus im alten Arzthaus mit«, sagte er und zeigte auf das stattlichste Haus des Dorfes, das vom Steg aus gut zu sehen war. »Ich sage den Eigentümern Bescheid, dass ich Ihnen die Schlüssel geliehen habe; meine Schwägerin kümmert sich darum, sie ist bestimmt froh, wenn sie hört, dass Sie Zugang zu einem anderen Haus haben, falls was passiert. Sie können einfach reingehen.«
    Etwas Unausgesprochenes lag in der Luft. Garðar und Katrín hatten dem Mann nichts von ihrem Plan erzählt, dem Gästehaus, über das sie soeben die Schlüsselgewalt bekommen hatten, Konkurrenz zu machen. Keiner sagte etwas. Dann streckte Katrín die Hand aus und nahm den Schlüsselbund entgegen. »Vielen Dank.«
    »Passen Sie auf, dass Ihre Handys aufgeladen sind, und rufen Sie mich an, wenn Sie Probleme haben. Bei gutem Wetter bin ich in weniger als zwei Stunden hier.«
    »Das ist sehr nett«, sagte Garðar und legte Katrín den Arm um die Schulter. »Aber wir sind nicht ganz so unfähig, wie wir aussehen. Ich glaube nicht, dass das nötig ist.«
    »Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Über das Haus kursieren Geschichten, ich bin zwar nicht abergläubisch, aber es ist mir lieber zu wissen, dass Sie in einem anderen Haus unterschlüpfen können und nicht zögern, Hilfe zu rufen. Außerdem kann das Wetter hier manchmal gefährlich werden, so ist das nun mal.« Als die beiden nichts erwiderten, wünschte er ihnen viel Glück und verabschiedete sich. Sie murmelten einen Abschiedsgruß, blieben auf der Stelle stehen und winkten, als der Mann das Boot vorsichtig vom Ufer weglenkte und in den Fjord hinausfuhr.
    Als sie alleine waren, bekam Katrín plötzlich ein mulmiges Gefühl. »Was hat er damit gemeint, über das Haus kursieren Geschichten?«
    Garðar schüttelte langsam den Kopf. »Keine Ahnung. Ich vermute, dass er vielleicht mehr über unsere Pläne weiß, als er zugeben will. Hat er nicht gesagt, seine Schwägerin betreibt das Gästehaus? Er wollte uns nur Angst einjagen. Hoffentlich verbreitet er nicht irgendwelche Gerüchte über das Haus.«
    Katrín schwieg. Sie wusste, dass das nicht sein konnte. Außer Líf wusste niemand über ihre Pläne Bescheid. Sie hatten beide nicht mit ihrer Familie darüber gesprochen, aus Angst, dass etwas dazwischenkommen könnte. Es reichte schon, dass alle sie wegen Garðars Arbeitslosigkeit bemitleideten. Ihre Familie war in dem Glauben, sie seien in Katríns Schulferien in die Westfjorde gefahren, um Urlaub zu machen. Nein, der alte Kapitän hatte das nicht gesagt, um ihnen Angst einzujagen – da steckte etwas anderes dahinter. Katrín bedauerte es zutiefst, ihn nicht weiter ausgefragt zu haben, denn jetzt ging ihre Phantasie mit ihr durch. Das Boot entfernte sich schneller, als es sich auf der Hinfahrt dem Land genähert hatte, und war schon bald nur noch faustgroß.
    »Mann, ist das ruhig hier«, sagte Garðar in die Stille hinein, die das Boot zurückgelassen hatte. »Ich glaube, ich war noch nie an einem so menschenleeren Ort.« Er beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die salzverkrustete Wange. »Aber ein netter Mensch ist wenigstens hier.«
    Katrín lächelte ihn an und fragte nicht, ob er die bedauernswerte Líf vergessen hätte. Sie wandte sich vom Meer ab, da sie nicht sehen wollte, wie das Boot ganz aus ihrem Blickfeld verschwand, und schaute stattdessen zum Strand. Líf war aufgestanden und winkte ihnen eifrig zu. Katrín hob die Hand, um zurückzuwinken, ließ sie aber wieder sinken, als sie hinter der weißgekleideten Frau etwas vorbeihuschen sah. Ein pechschwarzer Schatten, noch dunkler als die dunkle Umgebung. Er verschwand ebenso schnell, wie er aufgetaucht war, und Katrín konnte nicht erkennen, was es war. Es sah aus wie ein kleiner Mensch. Sie packte Garðar am Arm.
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