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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen
Autoren: Michele Jaffe
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Aurora ausgeben.«
    Bridgette richtete sich ruckartig auf und zog die perfekt geschwungenen Brauen zusammen. »Woher weißt du von Aurora?«
    »Bain hat mir von ihr erzählt. Er sagte, sie habe Gewitter geliebt, weil sie selbst wie ein Gewitter gewesen sei.«
    Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu und schaute dann wieder zu mir. »Ja. Ich nehme an …« Sie hielt inne. »Es spielt keine Rolle. Aurora ist vor drei Jahren weggelaufen und verschwunden. Wir möchten, dass du dich ein paar Wochen lang als sie ausgibst.«
    »Ein paar Wochen lang?«
    »Ein oder zwei Monate.«
    »Wieso?«
    »Unsere Großmutter ist sehr krank, und es wird ihre letzten Tage …«, wollte Bain sagen, doch Bridgette unterbrach ihn.
    »Sei kein Idiot. Das würde sie dir niemals abkaufen.« Sie schaute mich an. »Es geht um Geld. An ihrem achtzehnten Geburtstag sollte Aurora eine Menge Geld erben. Wir möchten, dass du sie bis dahin spielst, das Geld in Empfang nimmst und es uns gibst. Dafür bekommst du 100 000  Dollar und kannst danach tun, was immer du möchtest.«
    100 000  Dollar, und ich musste dafür nur ein paar Monate lang in eine fremde Rolle schlüpfen. Meine Pflegemutter Mrs Cleary wäre sehr stolz auf mich gewesen. Ich warf einen Blick zu dem Foto auf dem Klavier. Die Rolle war vermutlich auch noch hübsch ausgestattet.
    »Was spricht dagegen?«, wollte Bain wissen, der mein Schweigen als Zögern deutete.
    »Dass es Diebstahl ist?«, sagte ich.
    »Nicht so richtig.« Bridgette schüttelte den Kopf. »Aurora hat das Geld in ihrem Testament Bain und mir vermacht, also gehört es technisch gesehen ohnehin uns. Aber wenn sie nicht da ist, müssen wir weitere vier Jahre warten, bis man sie für tot erklären kann.«
    »Ist sie denn tot?«
    »Sie ist entweder tot oder nicht an dem Geld interessiert, ansonsten wäre sie längst zurückgekommen«, erklärte Bain. Er breitete die Hände aus. »Wir tun niemandem weh. Du musst dich einfach nur ein paar Wochen lang verkleiden und wie eine Prinzessin leben, und am Ende bekommst du ein Vermögen. Die meisten Leute würden sofort zugreifen. Oder machst du dir Sorgen, dass es deine Karriere bei Starbucks gefährden könnte?«
    Hätte ich erkannt, was sich wirklich hinter diesem entschlossenen Streben nach Geld verbarg, hätte ich mich nie auf ihr Angebot eingelassen. Damals aber schien alles, was sie sagten, einen Sinn zu ergeben. Und es führte nur zu einem einzigen Schluss. »Ich mache es«, sagte ich. Bain fing an zu lächeln, doch Bridgettes Miene blieb ausdruckslos. »Für 250 000  Dollar.«
    Sein Lächeln gefror. »Du bist verrückt.«
    Bridgette hob den Arm vor ihn, wie eine Mutter, die ihr Kind schützen will, und starrte mich an. Ihr Blick war präzise und abschätzend, und ich fragte mich, ob ich die Sache vermasselt hatte. Hoffentlich nicht. »Angriff ist die beste Verteidigung«, hatte mir mal eine Freundin geraten, und das erschien mir jetzt sehr nützlich. Ich zwang mich, Bridgettes Blick standzuhalten.
    Ein winziges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Okay. 250 000  Dollar.«
    Irgendwo tief in meinem Inneren schrillte ein leiser Warnton. Es war zu einfach. Und mir war, als hätte ich etwas Entscheidendes übersehen.
    Dann kehrten meine Augen zu dem Foto zurück. Aus der Entfernung sah es aus wie eine nette Familie, ohne die Spannungen, die bei näherer Betrachtung sichtbar wurden.
Familie.
Das Wort war mir so fremd und doch, plötzlich, gefährlich verlockend.
    »Womit fangen wir an?«, fragte ich.

7. Kapitel
    S ie brauchten nicht mal eine Stunde, um mir zu erklären, was sie vorhatten. Dreiundfünfzig Minuten, um etwas zu skizzieren, das mein Leben und das anderer Menschen unwiderruflich verändern würde.
    Der Plan war gut durchdacht – Bridgette verstand sich glänzend aufs Organisieren. Jedes Teilchen fügte sich wie bei einem Puzzle nahtlos in das nächste. Doch das Problem einer guten Organisation ist, dass man den Eindruck gewinnt, man wisse immer, was überall vorgeht …
    Es war einfach: Ich würde diesen Monat »hier in der Hütte« verbringen und alles lernen, was sie über ihre Cousine wussten. Einen Monat vor Auroras Geburtstag würde ich nach Tucson ziehen und meinen Platz in der Familie einnehmen. Nachdem ich das Geld erhalten hatte, würde ich etwa drei Wochen brauchen, um meine, also Auroras Angelegenheiten, zu regeln, und dann erneut verschwinden. Es hörte sich an wie bei Aschenputtel: Mädchen steigt von der Bettlerin zur Prinzessin auf, nur dass sie in
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