Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen
Autoren: Michele Jaffe
Vom Netzwerk:
Junge, als die Frau weg war, lächelte verschwörerisch und beugte sich vor.
    Ich betrachtete es als rhetorische Frage. Ihn zu vergessen wäre ebenso unmöglich gewesen, wie ihn und das Mädchen zu übersehen. Zum einen passten sie wie die Faust aufs Auge in die Mutter-Vater-Kinderwagen-Menge. Zum anderen sah er aus, als wäre er soeben einer dieser Werbeanzeigen entstiegen, auf denen ein halbnackter Typ mit perfekt modellierten Armmuskeln und Waschbrettbauch zum Horizont schaut. Reich. Verwöhnt. Mit dem immer gleichen Ausdruck der Selbstzufriedenheit. Mit einem Gesicht, das einen durchaus bis in seine Träume verfolgen konnte.
    Außerdem war er in den vergangenen Wochen fünf Mal hier gewesen. Auch das Mädchen kam mir bekannt vor, aber ganz sicher war ich mir nicht.
    »Ich bin Bain«, sagte er, als ich ihn einfach nur anschaute. »Bain Silverton. Und das ist meine Schwester Bridgette.«
    »Eve«, erwiderte ich und deutete auf mein Namensschild. »Ich heiße immer noch Eve Brightman. Genau wie bei allen anderen Malen auch, bei denen du mich gefragt hast.«
    »Du erinnerst dich also an mich.« Seine Augen leuchteten vor Freude. »Ich glaube, das tust du wirklich. Es ist nämlich so – du siehst jemandem, den ich mal gekannt habe, verdammt ähnlich.« Er wandte sich an das Mädchen. »Siehst du, Bridge? Ist das nicht verrückt? Sicher, die Haare sind kürzer, aber ansonsten könnte sie es wirklich sein.«
    Sie nickte. Genau wie er hatte sie große, himmelblaue Augen mit schweren Lidern und ein vollkommenes, ovales Gesicht, doch während sein Blick schelmisch und warm wirkte, war ihrer kühl und abschätzend. Vermutlich hatte sie das gleiche hellbraune Haar wie er, das in der Sonne golden schimmerte, doch ihres war in einem subtilen Rotton gefärbt und fiel ihr in einem dichten Pony in die Stirn. Mir kam der Gedanke, dass dies in ihrer Welt wohl ein ungeheurer Akt der Rebellion sein musste. Ich bemerkte, wie sie mit zwei Blicken meine Jeans und das billige T-Shirt taxierte. Sie selbst trug einen kurzen Jeansoverall und darüber einen weiten Kaschmirpulli, Mokassins, eine große Ledertasche mit dezenten Verzierungen und eine Designerbrille, die sie sich ins Haar geschoben hatte. Am Zeigefinger der linken Hand hatte sie einen goldenen Dreiband-Ring von Cartier. Schlichtes Understatement. Ich schätzte den Wert des Outfits ohne Ring auf viertausend Dollar. Meins hatte 34 , 53  Dollar gekostet.
    »Ich habe Bridgette alles über dich erzählt«, sagte Bain.
    Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was das gewesen sein sollte, doch bevor ich danach fragen konnte, kam mein Chef Roman herüber. »Eve, was habe ich dir über das Quatschen mit Freunden an der Theke gesagt?«, fragte er mit seiner nasalen Stimme und schaffte es irgendwie, mich bedrohlich anzufunkeln und Bain und Bridgette dabei schleimig anzugrinsen.
    »Wir wollten gerade bestellen«, beschwichtigte Bain und tat das auch. Er (Cappuccino) und Bridgette (Pfefferminztee) begaben sich an einen Tisch in der Ecke, den eine fünfköpfige Familie soeben verlassen hatte.
    Roman ging auf mich los. »Du weißt, du bist nur zur Probe«, sagte er und funkelte mich an. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie Bridgette die Krümel, die die Familie hinterlassen hatte, mit einer Serviette sorgsam wegwischte und diese dann säuberlich zu einem kleinen Umschlag faltete, bevor sie sie wegwarf. »Darüber reden wir nach Dienstschluss.«
    Hinter seiner zornigen Miene verbarg sich Erregung. Roman wusste, dass ich den Job brauchte. Er argwöhnte, dass etwas mit meinem Ausweis nicht stimmte, dass ich eigentlich zur Schule gehen müsste und er mich deswegen in der Hand hatte. In der Vergangenheit hatte er versucht, diese Macht in einer Weise zu nutzen, die … nun, in einer bestimmten Weise. Und so einsam war nicht einmal ich.
    Bisher war ich seinen Versuchen durch eine Kombination von Geschick und Glück entkommen. Aber es wurde allmählich schwieriger.
    Bain und Bridgette unterhielten sich mit gesenkten Köpfen und ernster Miene, wobei sie alle paar Sekunden zu mir herüberschauten. Sie erinnerten mich an geschmeidige, gepflegte Bergkatzen – sie waren schön, hatten aber etwas Raubtierhaftes. Ich tat, als würde ich es nicht bemerken, doch mein Herz hämmerte, und ich bin mir sicher, dass einige Leute ihren Kaffee zum halben Preis bekamen, weil ich nicht bei der Sache war.
    Bain griff nach Bridgettes Kalender aus grauem Rochenleder, der auf dem Tisch lag. Ich sah, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher